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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman
Autoren: Stephan Brueggenthies
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vielleicht gewollt, aber da war es zu spät. Heute ist ein Subway drin.«
    Lena rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
    »Und was ist dann aus Ihren Eltern geworden?«, fragte sie.
    Zbigniew blickte sie an. So etwas fragte man nicht. Sie musste gespürt haben, dass Weissberg nicht darüber hatte sprechen wollen. Und dafür gab es sicher gute Gründe.
    Es gab keine Entschuldigung; die gymnasiale Oberstufe war angefüllt von Informationen über das Dritte Reich, außerdem war ihr Vater Lehrer.
    Aber sie fragte immer Dinge, die man nicht fragte. Sagte Dinge, die man nicht sagte, die aber jeder dachte. Sie war nicht taktlos, sondern unverblümt. Irgendwann war Zbigniew dieses Wort für sie eingefallen, und er fand es unglaublich zutreffend. Lena war die unverblümteste Person, die er kannte.
    Das war auch ein Grund, warum er sie so sehr mochte.
    Weissberg rieb seinen Zeigefinger am Daumen, als ob er etwas hervorholen müsste. Er wirkte zögerlich, doch dann sah er Lena an, und Zbigniew spürte so etwas wie Dankbarkeit in seinem Blick. Dankbarkeit, dass er endlich mal einer Person gegenüber saß, die normal mit diesen Vergangenheiten umging. Die nicht herumdruckste, sondern darüber redete.
    »Sie starben noch vor Kriegsende«, sagte er schließlich.
    Weissberg senkte seinen Blick auf die Marmorplatte.
    »Sie waren … «, fuhr er langsam fort, »sie hatten die Voraussicht, uns Kinder von sich zu trennen … Meine Schwester und mich. Also, ich rede immer von meiner Schwester, aber ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen, als Neugeborenes. Es war ein unwirklicher Moment, aber seltsamerweise erinnere ich mich daran sehr deutlich. Ich war damals vier Jahre alt und wir durften niemandem sagen, dass sie geboren war. Oder dass meine Mutter überhaupt schwanger war.«
    Weissberg hielt inne. Es war, als ob er in eine andere Welt abgetaucht wäre, eine Welt, die in ihm ungute Erinnerungen weckte. Zbigniew warf Lena einen Blick zu und spürte, dass auch ihr ein wenig mulmig war.
    »Und was ist aus Ihrer Schwester geworden?«, fragte sie dennoch weiter.
    Weissberg sah kurz zu ihr hoch, dann schaute er betreten sein Glas an. Erst nach einigen Sekunden des Schweigens begann er mit seiner Antwort.
    »Meine Schwester … das ist das große Rätsel meines Lebens.«

2
    Als Zbigniew und Lena ein paar Stunden später in ihrem Hotel in der 28. Straße angekommen waren, hielt die Weissberg-Wirkung noch an. Das Paar hatte zuvor auf dem Heimweg beim Times Square Halt gemacht und sich vom Trubel der Touristen und von den blinkenden Leuchtreklamen ablenken lassen. Wortlos hatten sie sich auf die ins Nichts führende rote Treppe gesetzt, die mitten in den Freiluftsalon hineingebaut war. Eine Tribüne, um den Platz zu betrachten, auf dem alle paar Sekunden die riesigen Leuchtreklamen wechselten, um ihn in ein neues Licht zu tauchen. Zbigniew fiel ein kleines Polizeihäuschen auf, ein winziges Stübchen, verloren zwischen den Wolkenkratzern. Mit einem grellen NYPD -Neonschriftzug, der humorvoll blinkte, passte es sich an die Gegebenheiten des Platzes an.
    Irgendwann hatte Zbigniew Lenas Hand ergriffen. Sie hatten Händchen gehalten, wie zwei kleine Kinder. Wortlos hatten sie dagesessen, dann waren sie weiter zum Hotel gegangen.
    »Ich finde, du hättest da mehr drauf eingehen können«, sagte Lena, als sie die Tür des Hotelzimmers hinter sich geschlossen hatten. Sie verschwand direkt ins Bad.
    Zbigniew ließ sich aufs Bett fallen. Seine Füße taten ihm weh, nach dem langen Fußmarsch von der 47. Straße hierher.
    »Wir können ja zu dieser Ausstellung gehen und dann noch mal schauen«, schlug er vor.
    Samuel Weissberg hatte Zbigniew und Lena zu einer Vernissage eingeladen, die Freunde von ihm in einer Galerie im Meatpacking District veranstalteten.
    »Du hättest ihm gleich deine Hilfe anbieten können«, schallte es aus dem Bad.
    »Lena, wir sind im Urlaub. Und ich bin kein amerikanischer Privatdetektiv und nehme hier Aufträge an. Ich bin … stinknormaler Polizeibeamter aus Nordrhein-Westfalen.«
    Lena kam zurück, stellte sich vor ihn, sah ihn schmollend an.
    »Wenn du glaubst, dass ich heute Nacht mit einem stinknormalen Beamten aus Nordrhein-Westfalen schlafe, dann hast du dich geschnitten.«
    Zbigniew bemühte sich, ernst zu bleiben.
    »Auf jeden Fall fand ich das nicht gut von dir«, setzte Lena nach, und ihre Augen funkelten.
    Das Gespräch mit Weissberg in der Bar hatte einen seltsamen Verlauf genommen. Der selbstbewusste und
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