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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman
Autoren: Stephan Brueggenthies
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charismatische Ex-Cop hatte sich, als sie auf seine Schwester zu sprechen gekommen waren, in einen gebrochenen alten Mann verwandelt. Zumindest war es Zbigniew so vorgekommen.
    Es war eine lange Geschichte, die Samuel Weissberg ihnen erzählt hatte, immer wieder vorangetrieben durch Lenas beständiges Fragen. Zuerst hatte Zbigniew versucht, Lena zu zügeln, doch dann begriff er, dass das Gespräch für beide wichtig war – für Samuel, der erzählen durfte, und für Lena, die ihren Wissensdurst auf die Vergangenheit ihrer Heimat durch Erzählungen »aus erster Hand« befriedigen konnte. Zbigniew hatte sich zurückgelehnt, passiv, doch Stück für Stück hatte ihn ein Schaudern ergriffen, eine zunehmende Unbehaglichkeit.
    GideonWeissberg,derVatervonSamuel,warjüdischenGlaubens;seineFrauAnnaentstammteeinemchristlichenElternhaus.Dadiebeiden1932geheiratethatten,standihreFamilieauchimDrittenReichuntereinemgewissenSchutz – dieNazisnannteneinederartigeKonstellation»Mischehe«undtrautensichnurbedingtansieheran.Dennochwareswohlso,dassGideonWeissbergmehrmalsranghoheBeamtebestechenundwichtigeFreundeaktivierenmusste,umwenigstensbis1941vonderGestapoinRuhegelassenzuwerden.Danach – mitdemBeginnderJudendeportationen – ändertesichdieLage.NurmitMühegelangesGideonWeissberg,voneinerderDeportationslistenwiederherunterzukommen.AlsAnnaWeissbergbegriff,dasssieabermalsschwangerwar,gingGideonWeissbergindenKölnerUntergrund,täuschteabervor,überBelgiengeflohenzusein.IndieserZeitgingennahezutäglichBombenangriffswellenüberKölnnieder,diedasLebeninderStadtfastunmöglichmachten.AnnaWeissbergwurdevondenNazisinRuhegelassen,gebarheimlichihrzweitesKind.Gideongelanges indiesenTagen,KontaktzuseinerFrauaufzunehmen – esbotsichdieMöglichkeit,denkleinenSamueleinerGruppevonFlüchtlingenaufihreReisemitzugeben.ZurgleichenZeitwurdedasGestapo-HauptquartierinKölndurchBombenangriffezerstörtundmusstezeitweilignachBadGodesbergumziehen.DervierjährigeSamuelreisteab,GideonbereiteteunterdessenmitAnnaseineeigeneFluchtvor.MitdemSäuglingschiendiesunmöglich,dochdannergabsichübereineneinflussreichenFreundderFamiliedieMöglichkeit,dasBabyaufeinemBauernhofvordenTorenderStadtzuverstecken.SowurdeEvaWeissberg,sohießSamuelsSchwester,1943imWestenvonKölnaufeinemGehöftbeiBüsdorfzurückgelassen.
    »All dies geschah in wenigen Tagen«, hatte Samuel mit nachdenklicher Miene gesagt, »und vieles habe ich erst im Nachhinein erfahren. Vor allem erinnere ich mich an den Abschied von meinen Eltern … und von dem Baby, auf das ich mich so sehr gefreut hatte.«
    Während Samuel Weissberg mit den anderen Flüchtlingen in die Schweiz zog, um von dort später in die USA fliehen zu können, kam Eva auf den Bauernhof. Gideon und Anna traten ihrerseits die Flucht an. Eine Flucht, die ein jähes, tragisches Ende nahm: Bereits wenige Tage später wurden die Eltern in einem kleinen Dorf in der Eifel aufgegriffen und erschossen.
    Samuel Weissberg hatte Tränen in den Augen, während er seine Geschichte erzählte, aber die Tränen verließen seine Augenhöhlen nicht. Zbigniew hatte sich über den Schulunterricht hinaus nie besonders für die Geschichte des Dritten Reichs interessiert, doch dies hier war etwas völlig anderes. Zu konkret, zu persönlich, zu schrecklich war das Schicksal, das die Familie Weissberg erlitten hatte – und ein realer Mensch aus der Familie saß ihm gegenüber.
    »Woher wissen Sie das dann eigentlich alles? Ich meine, das, was nach Ihrer Abreise passierte?«, hatte Lena gefragt.
    »Dass meine Eltern auf der Flucht erschossen wurden, haben mein Onkel und meine Tante einige Zeit nach Kriegsende von der Army erfahren. Sie haben es mir aber erst wesentlich später gesagt.«
    Die Spur von Eva Weissberg dagegen konnte erst wesentlich später rekonstruiert werden – und auch das nicht mit vollständiger Sicherheit. Weissbergs Onkel hatte den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in München eingeschaltet, der auf die Fälle im Krieg vermisster Kinder spezialisiert war. Erfolglos, ebenso wie weitere Anfragen bei anderen Stellen: dem Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen, der vor allem für jüdische Kinder zuständig war, und der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Nirgendwo gab es hilfreiche Unterlagen zur Tochter von Anna und Gideon Weissberg. Erst einige Zeit später stellte sich heraus, dass der Bauernhof, auf dem Eva versteckt wurde, von einer verirrten Fliegerbombe kurz
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