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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See
Autoren: Raymond Chandler
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damit auf sich ha‐
    be. Ich schob meine Visitenkarte durchs Gitter. Eine kräftige braune
    Hand nahm die Karte. Die hellen Augen kehrten zurück und die
    Stimme sagte: »Bedaure. Hab heute gerade keinen Bedarf an Detek‐
    tiven.«
    »Ich arbeite für Derace Kingsley.«
    »Dann scheren Sie sich zusammen mit ihm zum Teufel«, sagte er
    und schlug das Fenster zu.
    Ich stemmte mich gegen die Klingel und fischte mir mit der ande‐
    ren Hand eine Zigarette. Als ich gerade das Streichholz an der Holzverkleidung seitlich der Tür angestrichen hatte, wurde die Tür
    aufgerissen, und ein großer Kerl in einem weißen Bademantel über
    einer Badehose und Badesandalen kam herausgestürzt.
    Ich nahm meinen Daumen von der Klingel und grinste ihn an.
    »Was ist denn los?« fragte ich. »Habe ich Sie erschreckt?«
    »Wenn Sie noch einmal klingeln«, sagte er, »schmeiß ich Sie glatt
    über die Straße.«
    »Seien Sie nicht albern«, erklärte ich ihm. »Sie wissen genausogut
    wie ich, daß wir uns miteinander unterhalten werden. Ich mit Ihnen,
    Sie mit mir.«
    Ich zog das blauweiße Telegramm aus der Tasche und hielt es ihm
    vor seine hellen Augen. Er überflog es verdrossen, kaute dabei an seinen Lippen und knurrte:
    »Also dann kommen Sie in Gottes Namen rein!«
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    Er hielt die Tür auf, und ich folgte ihm in einen angenehm abge-dunkelten Raum mit einem aprikotfarbenen chinesischen Teppich,
    der teuer aussah, mit tiefen Sesseln, einer Reihe weißer Metalllam-pen, einem großen eleganten Grammophonschrank in der Ecke, ei‐
    nem langen und breiten Sofa aus fahlbraunem, dunkelbraun durch‐
    schossenem Mohair und einem Kamin mit Kupfergitter und einem
    weißen Holzsims. Hinter dem Gitter flackerte ein Feuer; es war zum
    Teil durch einen Riesenstrauß Manzanitablüten verdeckt. Die Blüten
    hatten Stellen mit welken Flecken, aber sie waren immer noch
    schön. Eine Flasche Vat 69 und Gläser standen auf einem Servier-wagen, und ein kupferner Eisbehälter stand auf einem runden Wal‐
    nußtisch mit Glasplatte. Der Raum ging ungebrochen durch bis zur
    Rückfront des Hauses und endete in einem flachen Bogen, durch
    den drei schmale Fenster blickten, man sah ein Stück eines weißen Eisengeländers einer Treppe, die nach unten führte.
    Lavery schloß die Tür und setzte sich auf das Sofa. Er nahm sich
    eine Zigarette aus einem handgetriebenen Silberkästchen, steckte sie
    an und sah mich gereizt an. Ich setzte mich ihm gegenüber und be‐
    trachtete ihn. Er hielt in jedem Detail dem stand, was das Foto ver‐
    sprochen hatte. Er verfügte über einen imponierenden Brustkasten und über hervorragende Schenkel. Seine Augen waren kastanien-braun, und das Weiße hatte einen hellen Grauton. Seine Haare wa‐
    ren ziemlich lang und über den Schläfen leicht gelockt. Seine braune
    Haut zeigte keinerlei Spuren von Erschlaffung. Er war ein hübscher
    Haufen Fleisch, nicht mehr, nicht weniger. Ich konnte mir ausmalen,
    wie sich die Frauen einbildeten, daß er genau das sei, worauf sie scharf zu sein hätten.
    »Warum erzählen Sie uns nicht einfach, wo sie ist«, sagte ich. »Wir
    werden sie früher oder später ja doch finden, und wenn Sie uns jetzt
    sagen, wo sie ist, brauchen wir Ihnen nicht mehr länger den Nerv zu
    töten.«
    »Um mir den Nerv zu töten, dazu gehört mehr als ein lausiger De‐
    tektiv«, sagte er.
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    »Ich hab da meine Zweifel. Ein lausiger Detektiv kann jedem den
    Nerv töten. Er ist stur und ist es gewohnt, herumgeschubst zu wer‐
    den. Seine Zeit wird bezahlt, und er kann sie genausogut damit ver‐
    plempern, Sie zu nerven.«
    »Hören Sie«, sagte er, während er sich nach vorne beugte und mit
    seiner Zigarette auf mich zeigte. »Ich weiß, was in dem Telegramm
    steht. Aber es ist der reine Quatsch. Ich bin nicht mit Crystal Kings‐
    ley nach El Paso gefahren. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen, lange vor dem Telegramm. Ich hatte nicht den geringsten Kontakt mehr zu ihr. Und ich hab das Kingsley auch alles schon erzählt.«
    »Er hat’s Ihnen bloß nicht geglaubt.«
    »Und wozu sollte ich ihn anlügen?« Er sah mich erstaunt an.
    »Und wozu sollten Sie’s nicht?«
    »Hören Sie zu«, sagte er ernsthaft. »Für Sie mag das so aussehen,
    aber Sie kennen sie nicht. Kingsley kann sie schlecht an die Kette legen. Wenn ihm ihr Benehmen nicht schmeckt, gut, dagegen gibt’s
    ein Mittel. Mich machen diese auf ihren Besitz pochenden Ehemän‐
    ner ganz krank.«
    »Wenn Sie mit ihr nicht nach El Paso gegangen
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