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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See
Autoren: Raymond Chandler
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Stück geholfen haben, und Kingsley hat ja gesagt, daß sie gern eine Menge davon mit sich herumtrug. Auch muß sie Schmuck besessen haben, der sich im Not‐
    fall in Geld umsetzen ließ. Sie zu töten schien also eine ebenso ver‐
    nünftige wie angenehme Angelegenheit zu sein. Das erklärt das
    Motiv, und wir kommen nun zu den Mitteln und zur Gelegenheit.
    Die Gelegenheit kam wie von ihr bestellt. Sie hatte sich mit Bill ge‐
    zankt, und er war weggefahren, um sich zu betrinken. Sie kannte ihren Bill, wußte, wie gründlich er sich betrinken konnte und wie 258
    lange er dann fortging. Sie brauchte Zeit. Genügend Zeit war entscheidend. Sonst mußte das ganze Unternehmen zusammenbre‐
    chen. Sie mußte ihre eigenen Kleider packen und sie in ihrem Wagen nach Coon Lake fahren, um sie dort zu verstecken, weil sie mit
    ihr verschwunden sein mußten. Sie mußte zu Fuß zurück. Sie mußte
    Crystal Kingsley umbringen und ihr Muriels Sachen anziehen und
    sie in den See packen. All das kostete Zeit. Was den Mord selbst anlangt, so nehme ich an, daß sie sie betrunken gemacht oder ihr über den Kopf geschlagen hat, um sie dann in der Badewanne hier
    im Haus zu ertränken. Das war für sie ebenso logisch wie einfach.
    Sie war Krankenschwester, sie wußte, wie man mit Körpern um‐
    geht. Sie konnte schwimmen – wir wissen von Bill, daß sie eine aus‐
    gezeichnete Schwimmerin war. Und ein ertrunkener Mensch sinkt.
    Sie mußte die Leiche dabei nur hinunter ins tiefe Wasser lenken –
    dorthin, wo sie sie haben wollte. Dabei überfordert nichts die Kräfte
    einer Frau, die schwimmen kann. Also tat sie’s, zog sich Crystal Kingsleys Kleider an, packte von deren Sachen, was ihr gefiel, ein, stieg in Crystal Kingsleys Wagen und fuhr weg. Und in San Bernardino kam ihr das erste Hindernis in die Quere Lavery.
    Lavery kannte sie als Muriel Chess. Wir haben weder Anzeichen
    noch Gründe für die Annahme, daß er sie schon früher gekannt hat‐
    te. Er hatte sie hier oben gesehen und war wahrscheinlich wieder auf dem Weg hierher, als er sie traf. Das konnte sie nicht wollen.
    Denn er hätte ja hier ein verschlossenes Blockhaus gefunden, sonst nichts. Aber er hätte vielleicht mit Bill zu reden angefangen, und es
    war ein Teil ihres Planes, daß Bill nicht sicher wissen durfte, ob sie
    Little Fawn Lake überhaupt verlassen hatte. So daß, falls man ir-gendwann die Leiche entdeckte, die als ihre Leiche identifizieren würde. So schlug sie rasch ihre Krallen in Lavery, was wahrscheinlich nicht allzu schwer war. Wenn es etwas gibt, das wir von Lavery
    ganz sicher wissen, so ist es die Tatsache, daß er seine Finger nicht
    von Frauen lassen konnte. Je mehr, desto besser. Also mußte er für
    ein so raffiniertes Mädchen wie Mildred Haviland eine leichte Beute
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    sein. Sie hat ihn also angemacht und abgeschleppt. Sie schleppte ihn
    nach El Paso und schickte von dort ein Telegramm, von dem er nichts wußte. Schließlich brachte sie ihn zurück nach Bay City. Vielleicht, weil’s nicht anders ging. Er wollte nach Hause, und sie konn‐
    te sich nicht zu weit von ihm entfernen. Weil Lavery eine Gefahr für
    sie war. Nur Lavery konnte alle Anzeichen dafür zerstören, daß Crystal Kingsley wirklich von Little Fawn Lake abgereist sei. Als die
    Suche nach Crystal Kingsley begann, mußte man auf Lavery stoßen,
    und von dem Augenblick an war Laverys Leben keinen Nickel mehr
    wert. Seinem ersten Leugnen brauchte man nicht zu glauben, und man hat ihm ja auch nicht geglaubt, aber wenn er die ganze Geschichte ausgepackt hätte, hätte man ihm glauben müssen, weil sie
    nachprüfbar war. Als daher die Suche begann, wurde Lavery au‐
    genblicklich in seinem Badezimmer totgeschossen, gerade in der
    Nacht, nachdem ich bei ihm war, um mit ihm zu sprechen. Das ist
    fast alles, was dazu zu sagen ist, außer, warum sie am nächsten Morgen ins Haus zurückgekehrt ist. Das ist eine der Sachen, die Mörder anscheinend gern tun. Sie sagte, daß er ihr das Geld abgenommen hatte, aber ich glaube das nicht. Mir scheint es wahrschein‐
    licher, daß sie gedacht hat, sie könnte vielleicht sein verstecktes Geld finden oder daß sie ihren Mord besser mit einem kühlen Kopf hin-drehen wollte, um sicherzugehen, daß alles in Ordnung wäre und in
    die richtige Richtung deutete. Oder es war wirklich nur, wie sie sag‐
    te, um die Milch und die Zeitung hereinzuholen. Alle diese Möglichkeiten kommen in Betracht. Sie ging also zurück, ich traf sie dort
    an,
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