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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See
Autoren: Raymond Chandler
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werden Sie dafür besonders innig in unser Herz schließen«,
    sagte Degarmo mit einem kalten Grinsen. »Jesus, was war ich be-scheuert. Was zahlen Sie diesem Spitzel dafür, daß er Ihre Morde verschleiert, Kingsley?«
    »Seinen üblichen Satz«, sagte Kingsley ohne Erregung zu ihm.
    »Und eine Prämie von fünfhundert Dollar, wenn er nachweisen
    kann, daß meine Frau Lavery nicht umgebracht hat.«
    »Zu schade, daß er sich die nicht verdienen kann«, höhnte Degar‐
    mo.
    »Seien Sie nicht blöd«, sagte ich. »Ich hab sie mir schon verdient.«
    Im Raum herrschte auf einmal Stille. Eine gespannte Stille, die in jedem Augenblick in einem Donner auseinanderzubrechen drohte.
    Aber das geschah nicht. Die Stille blieb, schwer und lastend wie eine
    Mauer. Kingsley bewegte sich ein wenig in seinem Sessel und nick‐
    te, nach einer langen Pause, mit seinem Kopf.
    »Niemand weiß das besser als Sie, Degarmo«, sagte ich.
    Pattons Gesicht zeigte so viel Ausdruck wie ein Holzklotz. Er beo‐
    bachtete Degarmo ruhig. Kingsley beachtete er überhaupt nicht. Degarmo starrte auf einen Punkt zwischen meinen Augen, aber nicht so, als existierte außer ihm noch etwas im Zimmer. Eher so, als ob er
    nach etwas weit Entferntem blickte, wie nach einem Berg über einem Tal.
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    Nachdem eine sehr lange Zeit verstrichen zu sein schien, sagte Degarmo ruhig: »Ich verstehe nicht, warum. Ich weiß so gut wie nichts von Kingsleys Frau. Nach bestem Wissen habe ich sie nie gesehen – bis gestern nacht.«
    Er senkte seine Augenlider ein wenig und beobachtete mich brü‐
    tend. Er wußte ganz genau, was ich sagen würde. Ich sagte es trotz‐
    dem.
    »Und auch gestern nacht haben Sie sie nicht gesehen. Weil sie nämlich da schon über einen Monat tot war. Weil sie im Little Fawn
    Lake ertränkt worden war. Weil die Frau, die Sie in den Granada Apartments tot gesehen haben, Mildred Haviland war. Und weil
    Mildred Haviland Muriel Chess war. Und weil Mrs. Kingsley schon
    lange, bevor Lavery erschossen wurde, tot war, folgt daraus, daß Mrs. Kingsley ihn nicht erschossen hat.«
    Kingsley umklammerte die Armlehnen mit seinen Fäusten, aber er
    gab keinen Laut von sich, nicht einen Laut.
    Wieder herrschte lastende Stille. Patton unterbrach sie, indem er in
    seiner vorsichtigen, langsamen Art sagte: »Das ist eine ziemlich wil‐
    de Behauptung. Glauben Sie denn im Ernst, daß Bill Chess seine eigene Frau nicht erkennen konnte?«
    Ich sagte: »Nachdem sie einen Monat im Wasser gelegen hatte?
    Und nachdem sie in den Kleidern seiner Frau steckte und deren Schmuck trug? Mit wasserdurchtränkten blonden Haaren, die den
    Haaren seiner Frau glichen und einem fast nicht mehr auszuma‐
    chenden Gesicht? Warum hätte er überhaupt daran zweifeln sollen?
    Sie hatte ihm einen Zettel hinterlassen, der auf einen Selbstmord hinzudeuten schien. Sie war verschwunden. Vorher hatte es Streit gegeben. Ihre Kleider und ihr Auto waren weg. Sie war seit einem Monat verschwunden, er hatte nichts mehr von ihr gehört. Er hatte
    keine Ahnung, wohin sie gegangen war. Und dann taucht plötzlich
    diese Leiche aus dem Wasser auf und trägt Muriels Kleider. Eine blonde Frau von ungefähr der gleichen Größe wie seine Frau. Na-255
    türlich waren da Unterschiede, und wenn jemand einen Verdacht
    gehabt hätte, daß da eine Leiche unterschoben worden war, hätte man sie auch bemerkt und herausgefunden. Aber es gab keinen
    Grund, auf einen solchen Verdacht zu verfallen. Crystal Kingsley lebte ja noch. Sie war mit Lavery auf und davon. Sie hatte ihren Wagen in San Bernardino stehenlassen. Sie hatte aus El Paso ein Telegramm an ihren Mann geschickt. Mit ihr war alles in Ordnung, so‐
    weit es das Denken von Bill Chess betraf. Er dachte nicht im entfern‐
    testen an sie. Für ihn paßte sie überhaupt nicht in das Bild. Wieso auch?«
    Patton sagte: »Ich hätte selber daran denken müssen. Aber selbst wenn es mir in den Sinn gekommen wäre, wäre es eine jener Ideen
    gewesen, die man ebenso schnell wieder fallen läßt, wie sie einem einfallen. Sie wäre mir als zu weit hergeholt erschienen.«
    »Oberflächlich betrachtet, ja«, sagte ich. »Aber nur oberflächlich betrachtet. Angenommen, die Leiche wäre ein Jahr lang oder überhaupt nicht mehr aufgetaucht – es sei denn, man hätte den See zu diesem Zweck abgelassen. Muriel Chess war verschwunden, und
    niemand verschwendete viel Zeit darauf, sie zu suchen. Vielleicht hätte man nie wieder was von ihr gehört. Bei Mrs. Kingsley
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