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Die Tochter der Dirne

Die Tochter der Dirne

Titel: Die Tochter der Dirne
Autoren: BLYTHE GIFFORD
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ihre zitternden Knie zur Ruhe, dann knickste sie und wagte es, aufzusehen.
    Groß, dünn und von zarter Blondheit, hockte König Richard auf der Kante des Throns, von dem aus er den Saal überblicken konnte. Auf seinen Locken saß eine goldene Krone, ein hermelingefütterter Mantel schützte ihn vor Zugluft. Sie fragte sich, ob seine Wangen glattrasiert waren oder ob er noch keinen Bart hatte.
    Seine Gemahlin saß in gebeugter Haltung neben ihm. Das braune Haar hing ihr zu einem Zopf geflochten den Rücken hinab, eine seltsame Frisur für eine verheiratete Königin. Doch Joans Mutter hatte gewispert, dass sie sich fragte, was für eine Gemahlin diese Königin eigentlich sei, nach sechs Jahren kinderloser Ehe.
    „Wir hoffen, Ihr genießt die Festtage mit uns, Lady Joan“, sagte sie nun. In ihren Augen lag eine Sanftmut, die denen des Königs fehlte.
    Mit einem stummen Blick bat Joan den König um Erlaubnis.
    Er machte eine Handbewegung. „Ihr dürft sprechen.“
    „Danke, Euer Gnaden.“
    Er setzte sich aufrechter hin. „Sprecht uns als Majestät an.“
    „Verzeiht, Euer Majestät.“ Wieder verneigte sie sich. Ein neuer Titel also. Für den alten König war „Euer Gnaden“ genug gewesen, doch jetzt genügte das nicht mehr. Dieser König brauchte mehr als Unterwürfigkeit. Ihn verlangte es nach Erhöhung.
    Die leise Stimme der Königin klang beruhigend, wie nach dem Zornesausbruch eines Kindes. „Ich hoffe, Ihr werdet Weihnachten auf Weston Castle nicht allzu sehr vermissen, Lady Joan.“
    Joan unterdrückte ein Auflachen. Eine Weston war sie nur dem Namen nach, den Familiensitz hatte sie noch nie gesehen. Ihre Mutter und ihre Schwester waren es, die sie vermisste, doch über die beiden würde niemand hier auch nur ein Wort verlauten lassen. „Eure Einladung ehrt mich, Majestät.“
    Königin Anne fuhr fort: „Vielleicht könntet Ihr zu unserer Unterhaltung ein kurzes Gedicht schreiben.“
    „Ein Gedicht, Majestät?“
    „Nicht auf Französisch. Nur auf Englisch. Falls Ihr Euch dazu in der Lage fühlt.“
    Sie ignorierte die kleine Kränkung. Die Worte der Königin verunglimpften nicht nur ihre Mutter, sondern auch die zehn Jahre, die Joan weit entfernt von Windsors Glorienschein verbracht hatte. Als Tochter des Königs hatte sie sowohl Englisch als auch Französisch gelernt. „Euer Majestät, wenn meine bescheidenen Verse Euch erheitern, dann wäre es mir eine Ehre.“
    Der König mischte sich ein. „Natürlich wäre es das, Lady – wie war doch noch der Name?“
    „Joan, Majestät.“
    Er runzelte die Stirn. „Der Name gefällt mir nicht. Habt Ihr noch einen anderen?“
    „Einen anderen Namen, Majestät?“ Seltsam, dachte sie, dann fiel es ihr ein. Die Mutter des Königs hatte ebenfalls Joan geheißen – und seine Mutter war mit ihrer verfeindet gewesen. Natürlich durfte sie nicht den Namen seiner geliebten Mutter führen. „Ja, Majestät. Den habe ich.“ Er lautete nicht Mary, Elizabeth oder Catherine, wie der König es vielleicht erwartete. „Meine Mutter nennt mich auch Solay.“
    „Soleil?“, wiederholte er mit französischer Aussprache. „Die Sonne?“
    „Ja.“
    „Warum nennt sie Euch so?“
    Sie zögerte, aus Angst, die Wahrheit auszusprechen, und wusste nicht, wie sie sich herausreden sollte. „Sie sagte, ich wäre die Tochter der Sonne.“
    Von allen Seiten erklang Gewisper. Einst war ich die Geliebte der Sonne, hatte ihre Mutter gesagt. Die Sonne war König Edward gewesen.
    Mit einer Handbewegung entließ der König sie. „Euer Name ist unwichtig, da Ihr nicht lange hier sein werdet.“
    Angst durchfuhr sie. Sie musste ihn von seinem Unmut ablenken und Zeit gewinnen, um seine Gunst zu erlangen.
    „Es ehrt mich, wenn Ihr meinen Namen aussprecht“, sagte sie rasch, „ebenso wie das Wissen, dass ich am selben Tag wie Ihr unter dem Zeichen des Steinbocks geboren bin.“ Das stimmte nicht, aber es interessierte niemanden, wann sie geboren war. Selbst ihre Mutter erinnerte sich nicht genau an den Tag.
    Wieder richtete er sich auf und sah sie an. „Ihr studiert die Sterne, Lady Solay?“
    Sie wusste kaum mehr über die Sterne als ein Kerzenmacher, aber wenn ihn die Sterne interessierten, dann sollten etwas Schmeichelei und ein paar Floskeln genügen. „Ich bin zwar nur eine Anfängerin, aber ich weiß, dass sie große Dinge über Euch sagen, Majestät.“
    Er musterte sie genauer. „Was denn?“, fragte er und beugte sich vor.
    Was wollte er hören? Sie musste vorsichtig
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