Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Teufelshaube

Die Teufelshaube

Titel: Die Teufelshaube
Autoren: franklin
Vom Netzwerk:
ich dagegen tun?
    Prior Geoffrey stöhnte angesichts seiner eigenen Schuld auf. Was für ein Freund bin ich ihr denn bislang gewesen? Oder dem Araber? Oder Gyltha?
    Bis zu dem Augenblick, als er selbst schon mit einem Bein im Grab stand und von Adelia in letzter Sekunde zurückgezerrt wurde, hatte er bezüglich der Wissenschaft die Haltung der Kirche vertreten, die lehrte, dass nur die Seele zählte, nicht der Körper. Physischer Schmerz? Er ist Gottes Wille, also nimm ihn hin. Forschung? Leichen sezieren? Experimente?
Sic vos ardebitis in Gehenna,
so werdet ihr in der Hölle schmoren.
    Doch Adelia war erfüllt vom Ethos Salernos, wo arabische, jüdische und sogar christliche Denker sich weigerten, ihrer Suche nach Wissen Schranken aufzuerlegen. Sie hatte ihn belehrt: »Wie könnte es denn Gottes Wille sein, zuzuschauen, wie ein Mensch ertrinkt, wenn ihn ein ausgestreckter Arm retten könnte? Ihr wärt fast in Eurem eigenen Urin ertrunken. Hätte ich da die Hände in den Schoß legen sollen, anstatt Eure Blase zu erleichtern? Nein, ich wusste, wie es ging, und hab’s getan. Und ich wusste es, weil ich die vergrößerte Drüse bei Männern studiert habe, die daran gestorben sind.«
    Ein seltsam sprödes kleines Ding war sie damals gewesen, unelegant, beinahe nonnenhaft, wären da nicht ihre fast wilde Ehrlichkeit, ihre Intelligenz und ihr Hass auf jeden Aberglauben gewesen. Zumindest hatte ihr die Zeit in England etwas gebracht, dachte er – eine größere Fraulichkeit, eine gewisse Weichheit und natürlich das Kind, Frucht einer Liaison, die ebenso leidenschaftlich und unangemessen gewesen war wie die zwischen Héloïse und Abaelard.
    Prior Geoffrey seufzte und wartete darauf, dass sie ihn fragte, warum er, ein vielbeschäftigter und bedeutender Mann, aufgebrochen war, um sie zu suchen.
    Mit Beginn des Winters hatten die Bäume im Sumpfland ihr Laub verloren, so dass die Sonne jetzt fast ungehindert auf den Fluss fiel und das Wasser die wilden Formen von kahlen Weiden und Erlen an beiden Ufern genau widerspiegelte. Adelia, die vor Erleichterung und Triumph gesprächiger war als sonst, nannte dem gleichmütigen Säugling auf ihrem Schoß die Namen der Vögel, die vor dem Bug des Kahns aufflatterten, wiederholte sie auf Englisch, Latein und Französisch und erkundigte sich übers Wasser hinweg bei Mansur, wenn ihr die arabische Bezeichnung nicht mehr einfallen wollte.
    Wie alt ist mein Patenkind jetzt?, fragte sich der Prior amüsiert. Acht Monate? Neun? »Ein bisschen jung für den Fremdsprachenunterricht«, sagte er.
    »Man kann gar nicht früh genug anfangen.«
    Endlich blickte sie auf. »Wo fahren wir hin? Ich vermute, Ihr seid nicht so weit herausgekommen, weil vielleicht zufällig gerade irgendwo ein Kind getauft werden musste.«
    »Es war mir eine Ehre,
Medica
«, sagte Prior Geoffrey. »Ich fühlte mich in den gesegneten Stall von Bethlehem versetzt. Aber nein, deshalb bin ich nicht gekommen. Dieser Bote …« Er gab jemandem, der in einem langen Umhang wie gebannt im Bug des Kahns gestanden hatte, ein Zeichen. »… ist mit einem Brief für Euch in der Priorei aufgetaucht, und da er gewisse Schwierigkeiten gehabt hätte, Euch in diesen Gewässern zu finden, habe ich mich bereit erklärt, ihn herzubegleiten.«
    Außerdem wusste er, dass er zur Stelle sein musste, wenn die Einladung überbracht wurde, denn sie würde ihr nicht folgen wollen.
    »Na los«, sagte Adelia, die sich ebenso wie Mansur durch Gyltha eine gewisse Respektlosigkeit angeeignet hatte. »Raus mit der Sprache.«
    Der Bote war ein magerer junger Bursche, und Adelias finsterer Blick ließ ihn fast rückwärts taumeln. Außerdem starrte er mit offenem Mund den Prior an und fragte: »Ist
das
Lady Adelia, Mylord?« Immerhin ließ der Name eine Adelige vermuten. Er hatte würdevolles Auftreten erwartet, sogar Schönheit, das Schleifen eines Rocks über Marmor, nicht dieses unscheinbare Frauenzimmer mit Hund und Kind.
    Prior Geoffrey schmunzelte. »Das ist Lady Adelia, fürwahr.«
    Nun denn. Der junge Mann verbeugte sich und warf den Umhang nach hinten, damit das gestickte Wappen auf seinem Rock zum Vorschein kam: zwei aufsteigende Hirsche und ein Schrägkreuz. »Von meinem ehrwürdigen Herrn, dem Bischof von St. Albans.«
    Eine Schriftrolle wurde vorgestreckt.
    Adelia nahm sie nicht entgegen. Ihre Lebhaftigkeit war verflogen. »Was will
der
denn?« Die Frage wurde mit einer Eiseskälte ausgesprochen, die dem Boten fremd war. Er sah hilflos zum
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher