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Die Suche nach der Sonne

Die Suche nach der Sonne

Titel: Die Suche nach der Sonne
Autoren: Colin Kapp
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Bodenplatte vom Grund loszumachen. Die Lichter des Zirkus, die geschäftigen Promenaden und die großen Ausstellungshallen fielen in der Illusion eines schnellen Steigflugs unter ihnen weg. Bald hatte die Betonplatte kometenhafte Geschwindigkeit erreicht und durchquerte die Atmosphäre in Richtung des Vakuums des Aster-Raums.
    Innerhalb kürzester Zeit fanden sich die verblüfften Zuschauer hoch über der Mars-Schale wieder und passierten bald darauf den großen Gürtel der künstlichen nuklearen Feuerbälle, der sogenannten Proto-Sonnen, die die Schale wärmten und erleuchteten. Sie flogen so nahe an einer Proto-Sonne vorbei, daß das Publikum erschreckt zusammenfuhr, weil es erwartete, vom heißen Atem des Feuerballs verschmort zu werden. Dann bremste die Bodenplatte, und für einen Augenblick schien sie stillzustehen, um dann – ein köstliches Gefühl drohenden Unglücks verströmend – wieder zurück zur Oberfläche der Mars-Schale zu fallen.
    Die Furcht vor dem scheinbar bevorstehenden Absturz ließ das Publikum erschauern. Viele saßen mit geballten Fäusten da, während sie die visuellen Eindrücke durchlitten und mit mehreren tausend Stundenkilometern auf die Mars-Schale zurasten. Ihnen blieb kaum genug Zeit, um die Einzelheiten der Städte unter ihnen aufzunehmen, da waren sie bereits auf der Schale ›aufgeschlagen‹. Die Zuschauer genossen einige Sekunden tröstlicher Dunkelheit, dann kehrte das Licht mit einem Schlag zurück, als sie die mehrere tausend Kilometer dicke Mars-Schale auf der gegenüberliegenden Seite durchbrachen. Von Schwindelanfällen benommen zogen sie steil nach oben, ließen die überfüllten Metropolen der Schaleninnenfläche hinter sich und rasten in den Widder-Raum, dem ›Mittelpunkt‹ des Universums entgegen.
    Zugegeben, letztere Bilder waren größtenteils Cherrys Phantasie entsprungen, während die übrigen eine sorgfältige Auswahl von Holoszenen darstellten, die zu anderen Zeiten an anderen Orten aufgenommen worden waren. Ihre Wirkung war allerdings so überzeugend, wie sie die menschliche Erfindungsgabe angesichts der Tatsache ersinnen konnte, daß man praktisch überhaupt keine Kenntnis über den Mittelpunkt des Solaren Universums besaß.
    Sie durchquerten den Widder-Raum in einem Tempo, das die Herzen der Zuschauer schneller schlagen ließ, stürzten sich in den Gürtel der Proto-Sonnen und schossen in rasender Fahrt auf die Erd-Schale zu. Als sie die Erd-Schale durchstießen, folgten weitere Sekunden lautloser Dunkelheit. Die Tatsache, daß keiner der Zuschauer wußte, wie lange dieser Zustand anhalten würde, füllte die Halle mit exquisiter Spannung. Dann durchschlugen sie die Schale und stiegen atemlos in den Terraven-Raum und zur Venus-Schale.
    Ein ähnlicher Vorgang wiederholte sich bei der Venus-Schale, aber die Spannung im Publikum stieg merklich an. Hinter der Venus-Schale lag der Hermes-Raum, der, wie es hieß, zur Schale und den Käfigwelten in der Umlaufbahn des Merkur führte. Jenseits der Merkur-Schale lag… was? Cherrys Szenario bestand aus einer großen, schwarzen Singularität; ein unbarmherziger Rachen, der gefräßig alle verschlang, die unvorsichtig genug waren, sein Reich zu betreten – inklusive Touristen auf Holo-Trips. Und was lag hinter der Singularität? Als sie scheinbar in diese letzte bodenlose Öffnung gezogen wurden, hörte Cherry mit Genugtuung, wie einige der Zuschauer unkontrolliert wimmerten.
    Sein Vortrag stockte mitten im Satz, als er am hinteren Ende der Halle eine dahineilende Silhouette wahrnahm, die ihn in beunruhigender Weise an seinen Rivalen Castor erinnerte. Nachdem er mit peinlicher Sorgfalt auf den Höhepunkt zugearbeitet hatte, wagte Cherry es allerdings nicht, die Spannung zu unterbrechen, indem er Tez im Vorführraum seine Bestürzung signalisierte. Geistesgegenwärtig zwang der Holo-Illusionist seine Stimme, das steigende Crescendo beizubehalten, aber das Zittern, das in seiner Kehle aufstieg, war nicht zur Gänze auf die Illusion zurückzuführen, daß sie unwiderruflich in der Anziehungskraft einer unersättlichen Singularität gefangen waren.
    Die Projektion war so wirklichkeitsgetreu, daß sich jeder einzelne der Zuschauer auf den Augenblick gefaßt machte, in dem der riesige, strahlungsfreie Ereignishorizont durchbrochen würde, und sie herausfänden, was die verbotenen Regionen dahinter verbargen. Cherry, der um Castors Vorliebe wußte, seine Boshaftigkeit in ein theatralisches Gewand zu kleiden, war zutiefst
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