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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden
Autoren: West Morris L.
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zusehen. Als es geschah, schritt ich nicht ein, weil es die beste Lösung für alle ist. Sogar für ihn.«
    Er warf einen Blick auf Orgagna, einen Blick, in dem so etwas wie Mitleid lag.
    »Sie fragen, wieso ich es wußte? Vom Durchschlag Ihrer Story, Herr Ashley, wußte ich, welcher Art die Informationen waren, die Sie kaufen wollten. Mir war klar, daß Ihr Unternehmen zu Gewaltakten führen mußte. Ihr Freund Harlequin – und er ist ein besserer Freund, als Sie ahnen – verriet mir, daß Sie nicht im Besitz der Photokopien waren. Eine Rückfrage in Sant' Agata verschaffte mir Klarheit über Enzo Garofanos Verhältnis zur Familie Carrese und zum Haus Orgagna. Ein kurzes Studium der Geschichte Seiner Hoheit ließ mich ein Dutzend möglicher Motive erkennen und gab mir einen Hinweis, wo sich die Photokopien befinden mochten.
    Als ich den Punkt untersuchte, von dem aus Garofano vor den Wagen gestoßen worden war, fand ich Spuren eines Kampfes, obwohl der Boden sorgfältig glatt geharkt war, um sie zu verwischen. Ich fand einen Fetzen von Garofanos Mantel. In seinen Schuhen waren Blätter und auf den Sohlen ein Fleck von einer zertretenen Orange. Es kostete mich ein bißchen Überlegung, doch schließlich sagte mir auch der Barkeeper die Wahrheit.
    Meine Kollegen in Neapel suchen noch nach dem Mann, der Garofano angeboten hat, ihn von Sorrent nach Neapel mitzunehmen, und ihn daraufhin hierher zur Villa brachte. Das Ganze war wirklich höchst einfach – und es wäre noch einfacher gewesen, wenn sich einer von Ihnen hätte entschließen können, mir die Wahrheit zu sagen …«
    Er steckte die Daumen in den Gürtel und musterte sie herausfordernd. Es war etwas seltsam Unheimliches um diesen sanften, rundlichen Mann, wie er – den toten Herzog zu seinen Füßen –, unbeeindruckt von aller Großartigkeit des Hauses Orgagna, mitten in der riesigen Halle stand.
    »Nun wollen Sie mir bitte genau zuhören. Alle, ohne Ausnahme, in diesem Raum ist niemand, der an diesem Todesfall ganz unbeteiligt ist. An diesem nicht und an dem vorausgegangenen auch nicht. Der Alte«, er deutete mit ausgestrecktem Arm auf Carlo Carrese, der mit weit aufgerissenen Augen und halboffenem Mund in seinem Stuhl saß, »der Alte, der mehr als Sie alle darunter leiden wird, obschon ihn die geringste Schuld trifft. Sie, Elena Carrese, die Sie gelogen und betrogen und sich mit Mord und Erpressung abgefunden haben, nur um einen Mann zu halten, der Ihrer überdrüssig war. Sie, Signora « , sein Zeigefinger deutete auf Rossana, »die Sie einen Mann liebten, der nicht Ihr Gatte war, und dessen zärtlicher Nachmittag unter Olivenbäumen zu Enzo Garofanos Tod führte. Sie, Herr Ashley, weil Sie im Namen der Wahrheit bereit waren, Lügen und Bestechungen auf sich zu nehmen und auf diese Weise eine Lage schufen, aus der all dies hier erwuchs. Selbst Sie, Tullio Riccioli, weil Sie noch aus dem Abfall der Sünden der anderen Profit zu schlagen hofften. Sie alle, ohne Ausnahme, sind in diese Sache verstrickt. Gegen jeden einzelnen von Ihnen kann ich irgendeine Anklage erheben. Und also …«
    Er brach ab und warf einen Blick in die Runde der gespannten, ängstlichen und nervösen Gesichter. Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. In leisem, nachdrücklichem Kommandoton fuhr er fort:
    »Und also werden Sie, wenn Sie nachher diesen Raum verlassen, alles vergessen, was eben hier geschehen ist. Außer, daß der Alte einen vorübergehenden Anfall erlitt. Er leidet schon seit einiger Zeit unter unkontrollierbaren Wutanfällen. Heute abend griff er ohne jeden ersichtlichen Grund seinen Herrn mit einem Messer an, und bevor einem von uns klar wurde, was geschah, war der Herzog tot.«
    Inspektor Granforte ließ ihnen keine Zeit, Fragen zu stellen oder Einwände zu erheben, sondern fuhr rasch fort:
    »Und wenn Sie mich fragen, warum ich das sage, will ich Ihnen das sehr einfach erklären. In einer Woche werden Wahlen abgehalten, Wahlen, von denen die Zukunft dieses Landes abhängt. Die Zukunft und die Hoffnung auf Fortschritt für mindestens zehn Jahre. Vom Ergebnis dieser Wahlen hängt die Beschäftigung der Arbeitslosen ab und die Ernährung der Hungernden, die Erziehung der Kinder, die Entwicklung der Schulen und Krankenhäuser sowie alles andere, was Frieden und eine sichere Regierung uns bescheren können. Daran werden Sie denken. Sie werden daran denken, daß eine Lüge nichts an dem ändern kann, was geschehen ist, und daß eine Indiskretion alles Gute
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