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Die stumme Bruderschaft

Die stumme Bruderschaft

Titel: Die stumme Bruderschaft
Autoren: Julia Navarro
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sind Einwanderer, und da ist es schwieriger, an Informationen zu kommen. Außerdem habe ich mit Pietro das gesamte Personal des Bischofssitzes befragt. Bei Ausbruch des Feuers war niemand in der Kathedrale. Um drei Uhr ist sie immer geschlossen, nicht einmal die Arbeiter waren an ihrem Platz, Mittagspause.«
    »Wir haben die Leiche eines einzelnen Mannes. Hatte er Komplizen?«
    »Das wissen wir nicht, aber es ist wahrscheinlich. Schwer vorstellbar, dass ein Mann allein einen Diebstahl in der Kathedrale vorbereitet und ausführt, es sei denn, es handelt sich nicht um einen Auftragstäter, der wegen eines bestimmten Kunstwerks gekommen ist – in diesem Fall bräuchte er keinen Komplizen. Wir wissen es noch nicht.«
    »Aber wenn er nicht allein war, auf welchem Weg sind seine Komplizen entkommen?«
    Marco schwieg. Das komische Gefühl im Magen war ein Zeichen für seine Unruhe. Paola sagte immer, er sei besessen von dem Grabtuch, und vielleicht hatte sie Recht: Ihm gingen die Männer ohne Zunge nicht mehr aus dem Kopf. Er war sicher, dass er etwas übersehen hatte, irgendwo war das Ende des Fadens, und wenn er es fände und daran zog, würde er das Knäuel entwirren und die Lösung finden. Er würde in das Gefängnis von Turin gehen und mit dem Stummen sprechen. Der Kardinal hatte etwas gesagt, das ihn hatte aufhorchen lassen: Der Mann im Gefängnis hatte bei jedem Besuch bloß mit versteinerter Miene dagesessen, als würde er ihn nicht verstehen. Das war vielleicht ein Hinweis, womöglich war der Stumme kein Italiener und verstand wirklich nicht, was man zu ihm sagte. Zwei Jahre zuvor hatte er ihn den Carabinieri übergeben, als feststand, dass er keine Zunge hatte und sich weigerte in irgendeiner Form auf seine Fragen zu reagieren. Ja, er würde in das Gefängnis gehen, der Stumme war ihre einzige Spur, und er war so dumm gewesen, dieser Spur bis jetzt nicht nachzugehen.
    Während er sich noch eine Zigarette anzündete, beschloss er, John Barry anzurufen, den Kulturattaché der amerikanischen Botschaft. In Wahrheit war John ein Agent des Geheimdienstes, wie fast alle Kulturattachés fast aller Botschaften. Die Regierungen bewiesen nicht gerade viel Phantasie, wenn es um die Tarnung ihrer Agenten im Ausland ging.
    John war ein feiner Kerl, auch wenn er für das Department for Analysis der CIA arbeitete. Er war kein Agent im Außeneinsatz, er analysierte nur die Informationen, die von außen geliefert wurden, interpretierte sie und übermittelte das Ergebnis nach Washington. Er und Marco waren schon seit Jahren befreundet. Die Freundschaft war über die Arbeit entstanden, denn viele der von der Mafia geraubten Kunstwerke landeten in den Händen reicher Amerikaner, die keine Skrupel hatten, gestohlene Ware zu kaufen: Es genügte, dass sie in ein bestimmtes Kunstwerk verliebt oder einfach nur eitel oder am Geschäft interessiert waren. Manchmal wurden die Diebstähle auch im Auftrag ausgeführt.
    John entsprach in keiner Weise dem Klischeebild eines Amerikaners oder CIA-Agenten. Er war in den Fünfzigern, genau wie Marco, er liebte Europa und hatte in Harvard in Kunstgeschichte promoviert. Er war mit einer englischen Archäologin verheiratet, Lisa, einer bezaubernden Frau. Nicht gerade hübsch, aber so lebenslustig, dass sie einen mit ihrer Begeisterung ansteckte. Und am Ende fand man sie sogar attraktiv. Sie hatte sich mit Paola angefreundet. Ab und zu aßen sie alle zusammen zu Abend, und sie hatten auch schon einmal gemeinsam ein Wochenende auf Capri verbracht.
    Ja, er würde John anrufen, sobald er wieder in Rom war. Aber er würde auch Santiago Jiménez anrufen, den Vertreter von Europol in Italien, einen effizienten, sympathischen Spanier, zu dem er ein gutes Verhältnis hatte. Er würde sie beide zum Essen einladen. Vielleicht könnten sie ihm bei der Suche behilflich sein, auch wenn er noch immer nicht genau wusste, wonach er eigentlich suchte.

3
     
    Josar konnte die Mauern Jerusalems erkennen. Das gleißende Licht der Morgensonne und der Wüstensand verschmolzen mit den Steinen zu einer goldenen Masse, die ihn blendete.
    In Begleitung von vier Männern bewegte sich Josar auf das Tor von Damaskus zu, durch das um diese Uhrzeit die Bauern aus der Umgebung die Stadt betraten, während Karawanen auf der Suche nach Salz sie verließen.
    Ein Trupp römischer Soldaten patrouillierte zu Fuß im Bereich der Mauern.
    Josar sehnte sich danach, Jesus zu sehen. Dieser Mann strahlte etwas ganz Außergewöhnliches aus:
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