Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Belkacem hundert silberbeschlagene Pistolen gegeben hätte, denn das Symbol der Macht ist die Quelle der Kraft in der Wüste.
    Die Wüste, über die einmal die grüne Fahne des Propheten wehte, die Fahne Allahs.
    Nun ist es wieder Nacht.
    Ich sitze vor meinem Zelt und starre hinauf in die Sterne. Kühle weht von ihnen herab, wie am Tag die Hölle von ihrer großen Schwester, der Sonne, über uns geschüttet wird. Die Kamele sind getränkt und liegen um den Brunnen herum, die Palmen wiegen sich im leisen Abendwind, der heute wärmer ist als sonst die Luft einer Wüstennacht. Um mich herum brennen die Lagerfeuer. Kamelmist verheizen sie, steinhart getrocknet in der Sonne, aber er gibt eine wohlige Wärme und brennt wie bei uns der Torf.
    Den ganzen Tag sind wir heute geritten, und ich bin müde, sehr, sehr müde. Nicht nur körperlich – das wäre zu ertragen, und ein Schlaf würde mich erquicken, aber mein Geist ist müde, meine Seele ist an der Grenze des Erduldens angelangt.
    Was bin ich für ein Mensch! Feig und kraftlos, zerbrochen an dem Willen Amar Ben Belkacems, vernichtet durch sein Lächeln, seine Güte, seine Höflichkeit und sein urmenschliches Recht. Wenn ich jemals aus der Sahara herauskomme in das freie Leben, werde ich in meinem Haus alles vernichten, was von Afrika spricht. Ich werde aus dem Atlas die Karten der Sahara reißen, aus dem Lexikon das Wort Afrika streichen, ich werde alles, alles zerstören, was mich erinnern könnte an diese fünfzehn Jahre in der Wüste.
    Wie ich es hasse, dieses Land!
    Heute abend, vor Einbruch der Nacht, kam Babaâdour Mohammed Ben Ramdan zu mir ins Zelt. Ein gütiger, freundlicher alter Mann mit einem langen weißen Bart und kleinen, lustig blinkernden Augen. Ein guter Alter, wird man denken, wenn man ihm gegenübersitzt, ein fröhlicher Greis der Sahara, aber dieser lächelnde, zusammengeschrumpfte Mensch, dieses Gesicht aus genarbtem Leder und in Falten gelegtem Pergament ist der größte Schuft von Algier bis Timbuktu. Ihm verdanke ich meine Gefangenschaft, denn auch er kennt diese Wüste so gut wie ich, auch er weiß, wo die Brunnen liegen, wo die Wasseradern sich tief im Boden unter den Sanddünen entlangziehen, unter dem Sand, den man als unfruchtbar, als für immer tot bezeichnete und der doch ein blühender Garten sein könnte, wenn … ja, wenn ich frei wäre! Er kennt alles, was auch ich entdeckte, und er saß mir gegenüber, klein, verhutzelt, in einem langen, schneeweißen, seidenen Burnus und spielte mit einer goldenen Kette, die er um den Hals trug. Eine Kette, an der ein kleiner, goldeingefaßter Koran hing. Das Zeichen der Mekkapilger, der Glücklichen, die um die Kaaba in Mekka schritten und Allahs Angesicht schauen durften.
    »Man hat Sie gesehen, Doktor«, sagte er zu mir. Seine Stimme ist widerlich, hoch wie bei einem Eunuchen, von einem einschmeichelnden Klang und einer Weichheit, die betört. Seine Augen blickten mich gütig an, und ich wußte, daß er jetzt eine Gemeinheit sagen würde, denn niemand kann bei einer Gemeinheit so wohlwollend aussehen wie ein Araber. »Eine Patrouille der Fremdenlegion hat die Karawane gesichtet und Sie erkannt.«
    Ich nickte. Es war am Morgen gewesen, wir zogen außerhalb der Windsäule des Sandsturmes nach Bir-Adjiba, als an einer Felsnase ein kleiner Jeep auftauchte, der aber sofort wendete und in die Schlucht hineinfuhr. Ich konnte ihn von da an nicht mehr sehen und mich bemerkbar machen, denn Amar Ben Belkacem ritt hinter mir und kam sofort an meine Seite, als das Fahrzeug am Horizont aus einer großen Staubwolke herausstieß.
    »Rühren Sie sich nicht«, sagte er und lächelte dabei. »Wenn Sie um Ihr Leben rufen, rufen Sie Ihren Tod.« Es war wieder eine seiner blumigen Reden, die scherzhaft klingen, aber ernster sind als eine deutliche Drohung. Ich drehte mich zu ihm um und sah in seiner Hand einen der langen, leicht gebogenen arabischen Dolche. Die Klinge war wie ein Spiegel, sie warf die Strahlen der Sonne vielfach zurück. Der goldene Griff in den langen dürren Fingern war fein ziseliert und mit eingelegten Edelsteinen verziert. Amar Ben Belkacem bemerkte meinen Blick und nickte stumm. Da sah ich wieder geradeaus und ritt weiter, vorbei an der Felsnase, hinter der die Legionäre warten mußten. Die Freiheit, ich ritt an ihr vorbei, als hätte ich sie nie gesehen.
    Ja, so feig war ich, so erbärmlich feig, daß ich einen Dolch fürchtete. Ich müßte mich schämen vor mir selbst, wenn ich bloß noch die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher