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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters
Autoren: Laura Joh Rowland
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Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Suche nach Wissen und die Genugtuung, für die Festnahme und Bestrafung eines Verbrechers gesorgt zu haben, verlieh Sanos Leben einen viel tieferen Sinn als der Dienst für ein Herrscherhaus, dem der Makel der Bestechlichkeit, Verderbtheit und Grausamkeit anhaftete.
    »Gehen wir«, sagte Sano.
    Hirata an seiner Seite, schlich er sich an das Gebäude heran, schob leise die Tür auf und blickte in ein großes, von Hängelaternen erhelltes Zimmer. Eine Vielzahl von Schwertern, die in Scheiden steckten, und schimmernde stählerne Klingen ohne Griff ruhten auf Wandhaltern. In die Griffzapfen eingravierte Schriftzeichen ließen erkennen, dass man diese Klingen und Schwerter dem tameshigiri unterzogen hatte: Mit diesen Waffen waren menschliche Körper zerschnitten und zerhackt worden – die traditionelle Methode, die Güte eines Schwerts zu erproben und seinen Wert zu steigern.
    Im hinteren Teil des Zimmers, unweit der Schiebetüren, die auf einen mit Pfützen übersäten Hof führten, standen sieben Männer. Sano erkannte die vier Sänftenträger in ihren triefend nassen Umhängen; sie hatten ihre Kapuzen nach hinten geschlagen, sodass ihre derben Gesichter zu sehen waren. Bei ihnen standen zwei junge Burschen mit Stirnbändern aus Baumwolle, kurzen Kimonos und Lendenschurzen sowie ein alter Mann in einem schwarzen Waffenrock; in seine Hose war das Wappen der Familie Miochin eingestickt, und in den schwarzen, tief liegenden Augen in seinem blassen, raubvogelartigen Gesicht loderte ein wildes Feuer.
    Die Diebe hatten ihre Last auf den Fußboden gelegt und wickelten sie nun aus, bis der Leichnam eines untersetzten Mannes zum Vorschein kam, der mit einem weißen Grabgewand aus Seide bekleidet war. Miochin blickte auf die Leiche hinunter und sagte: »Ein perfektes Exemplar. Gute Arbeit.«
    Nach einem Gesetz der Tokugawa durften die Körper hingerichteter Verbrecher zur Erprobung von Schwertern benutzt werden, doch Mörder, Priester, Tätowierte und eta – gesellschaftliche Außenseiter ohne Rang und Ansehen – waren tabu. In letzter Zeit jedoch war es bei hingerichteten Verrätern, Dieben und Giftmördern zu Nachschubproblemen gekommen, was die Lieferung von Leichen für Schwertproben betraf. Als der bakufu dann auch noch die wenigen zur Verfügung stehenden Leichen meistbietend an die offiziellen Schwertprüfer des Shogun versteigerte, deren Amt erblich war – die Yamada, Chokushi und Nakagawa –, erwarben diese wohlhabenden Familien die gesamte Ware, wodurch die weniger bedeutenden Familienklans – wie die Miochin – gezwungen wurden, ihre Schwertklingen an Strohpuppen zu erproben. Doch die einzigen Proben, die einem Schwert wirklichen Wert verliehen, waren das Durchschneiden von menschlichem Fleisch und das Durchtrennen menschlicher Knochen.
    Da es den Preis ihrer Schwerter drückte, mieden die Waffenschmiede Edos schon bald jene Prüfer, die keine Möglichkeit hatten, die Schwerter der höchsten und bedeutendsten aller Proben zu unterziehen: der am menschlichen Körper. Auch Miochin drohte das Schicksal, seine Kunden zu verlieren. Um dem drohenden Bankrott zu entgehen, hatte er die vier rônin in Dienst genommen und bezahlte sie nun dafür, dass sie ihm Leichen beschafften – sei es durch Mord oder Diebstahl.
    »Also gut, dann lasst uns jetzt die Schwerter des Waffenschmieds Ibe erproben«, sagte Miochin nun zu den beiden jungen Männern, die offenbar seine Söhne waren. »Ich werde mit den besten Klingen das ryôkuruma und o kessa vollführen.« Es waren die schwierigsten Schnitte überhaupt, die einem Schwert besondere Kostbarkeit verliehen: Der eine führte quer über den Unterbauch der Leiche, der andere von der Schulter auf die Brust. »Ihr nehmt die Klingen zweiter Wahl und erprobt sie an den Armen und Beinen«, wandte Miochin sich an seine Söhne.
    Die Leichendiebe scharrten unruhig mit den Füßen. »Ich glaube, uns ist jemand gefolgt«, sagte einer von ihnen. »Gebt uns rasch unser Geld, damit wir verschwinden können.«
    Miochin reichte den Dieben eine Kordel, auf der Münzen aufgereiht waren. In diesem Moment zogen Sano und Hirata draußen ihre Schwerter; dann stürmten sie ins Zimmer.
    »Polizei!«, rief Sano. »Ihr seid verhaftet!«
    Die Leichendiebe stießen erschreckte Schreie aus und zogen ihre Schwerter, während Miochin und seine Söhne Waffen von den Wandhalterungen rissen. Natürlich wussten sie, dass auf Mord und Diebstahl die Todesstrafe stand;
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