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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel
Autoren: Kevin Powers
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Stadt wie Wasser, das jemand aus einem Wischlappen wrang, und näherten uns nach einem knappen Kilometer der Brücke über den Highway 1 . Schließlich trat ein Mann mit erhobenen Händen aus einem Hauseingang. Zwanzig Gewehre fuhren mit trockenem Klirren zu ihm herum.
    »Mister, Mister, nicht schießen, Mister«, flehte er. Er sprach gebrochen und kehlig. Er stand zitternd da, sein Körper gerahmt von dem matten Licht, das hinter ihm durch die Tür fiel. Seine Angst war mit Händen zu greifen. »Ich Jungen gesehen«, sagte er.
    Wir fesselten ihn, setzten ihn vor der Mauer seines Hauses auf den Boden und riefen einen Dolmetscher, der eine schwarze Kapuze mit Löchern für Augen und Mund über dem Kopf trug. Er begann, mit dem Mann zu sprechen. Wir suchten die Straße mit Blicken ab, ließen sie von Fenstern zu Straßenlaternen, von den krummen Bäumen am Straßenrand bis in die finstersten Winkel der Nacht schweifen. Der Dolmetscher stemmte ein Knie auf einen Oberschenkel des Mannes, seine Körpersprache verriet uns, was er fragte: Wo ist er? Was weißt du?
    Er hatte in der Nähe seines Hauses gerade Aprikosen-Halawa für seine Frau gekauft. Er unterhielt sich mit dem befreundeten Händler über Hitze, Familie und Besatzung. Er kehrte der Straße den Rücken zu, als der Händler plötzlich erstarrte und erbleichte und große Augen machte. Er legte das Geld auf die Theke, drehte sich langsam um.
    Ein junger Fremder kam von den Bahngleisen, die am Rand des Vorpostens verliefen, auf sie zu. Er war splitternackt, und bis auf Gesicht und Hände, die von der Sonne braungebrannt waren, war er bleich. Er wandelte dahin wie ein Geist, und weil er durch Stacheldraht und Müll gelaufen war, bluteten seine Hände und Füße.
    Der Mann sah uns an, als er dies erzählte, seine Miene so flehentlich, als sollten wir ein Rätsel für ihn lösen. Beim Sprechen schwenkte er die gefesselten Hände. Schließlich verstummte er, um Luft zu holen, legte die Hände auf den Kopf und fragte in gebrochenem Englisch: »Mister, warum Junge nackt?«, als hätten wir es wissen müssen, würden ihm die Antwort aus Grausamkeit vorenthalten.
    Irgendjemand gab dem Dolmetscher einen Knuff, und dieser brüllte den Mann an, fortzufahren. Der Mann erzählte, Murph sei direkt auf sie zugekommen, habe bei der Überquerung der Straße blutige Fußspuren im Staub hinterlassen. Als er sie erreicht habe, sei er stehen geblieben, habe verloren zum Himmel aufgeschaut.
    Wir stellten uns seine blauen, rotgeränderten Augen vor, die Stadt, flimmernd in der Hitze der Nacht, den warmen Wind, der Gerüche von Abwässern und gepökeltem Lamm mit sich brachte, den kühlen Hauch des nahen Flusses.
    Der schweißbedeckte Murph trat schwankend von einem Fuß auf den anderen, war sich der Gegenwart der beiden Männer offenbar nicht bewusst, schien die grundlegenden Formen studieren zu wollen, aus denen die Stadt bestand, die Winkel und Kompositionen, die weichen, nächtlichen Farben – ein Besucher einer unermesslich großen Museumsgalerie.
    Sergeant Sterling brachte die Ungeduld aller zum Ausdruck, als er fragte: »Und wo zum Teufel steckt er?«
    »Ooooh«, antwortete der Mann ausweichend. »Nicht wissen.«
    Sie hatten versucht, Murph aus seiner Trance zu reißen, ihn angebrüllt, ihn beschworen, zum Vorposten zurückzukehren. Noch während sie schrien, fiel Murphs Blick offenbar auf einen alten Bettler. Er sah eine gefühlte Ewigkeit durch die zwei Männer hindurch, dann ging er davon.
    Die beiden sahen Murph nach, während er sich entfernte, nur in das matte Licht der Laternen gekleidet. Wenn er in das Dunkel trat, schien sich seine Gestalt aufzulösen, um sich unter der nächsten Laterne wieder zu materialisieren. Der Bettler wühlte im Müll am Rand eines Kreisverkehrs, den Murph in gerader Linie überquerte. Die Autofahrer gingen in die Bremsen, als er bleich durch das Licht ihrer Scheinwerfer schritt. Bevor er die andere Seite erreichte, hatten alle Autos im Kreisverkehr angehalten. Türen wurden aufgestoßen, Männer richteten sich auf, streckten den Kopf hinaus, starrten ihn in stummem Erstaunen an. Das einzige Geräusch war das Stampfen der Kolben in den Zylindern der klapperigen Motoren.
    Die beiden sahen noch, wie Murph den in Säcke gehüllten Bettler ansprach, der sich suchend über den Boden bückte, Brotkrusten und Melonenrinde aufklaubte, über seinem Kopf ein Fliegenschwarm, der im Abblendlicht der Autos tanzte. Der Mann sagte, dieser Anblick habe sie beide
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