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Die siebte Maske

Die siebte Maske

Titel: Die siebte Maske
Autoren: Henry Slesar
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Saal, und ein Flüstern ging durch die Reihen. Als die Geschworenen auf ihre Bank zurückkehrten, schwoll das erregte Gemurmel zu einem Gesumm an, das wie das Surren einer riesigen Elektromaschine klang. Klinger protestierte nicht gegen den Lärm; vergeblich wartete Mike auf die Hammerschläge, mit denen der Richter so oft ins Prozeßgeschehen eingegriffen hatte. Oder vielleicht, dachte Mike mißmutig, kommt das Gesumm auch nur mir so laut vor. Er studierte die Gesichter der Geschworenen, eines nach dem anderen, und was er sah, gefiel ihm ganz und gar nicht. Er drehte sich um und suchte unter den Zuschauern nach freundlicheren Mienen. Zwei Personen vermißte er: Phil und Louise Capice, die dem Prozeß täglich beigewohnt hatten, waren heute verhindert. Bill Marceau, der Polizeichef von Monticello, saß in der zweiten Reihe. Bill zwinkerte ihm zu. Es war als Aufmunterung gemeint. Mike lächelte zurück und drehte sich wieder um.
    »Der Obmann der Geschworenen möge bitte aufstehen.«
    Der Obmann stand auf. Er war klein, wohlgenährt und wirkte sehr selbstzufrieden.
    »Sind die Geschworenen im vorliegenden Fall zu einem Urteil gelangt?«
    »Jawohl, Euer Ehren.«
    »Dann möge der Obmann den Urteilsspruch dem Gericht bitte vorlesen.«
    »Wir sprechen den Angeklagten schuldig.«
    »Und das ist Ihr einstimmiges Urteil?«
    »Jawohl, Sir«, sagte der Obmann.
    »Bitte händigen Sie den Schuldspruch dem Protokollbeamten aus«, sagte Richter Klinger.
    Auf einmal kam Mike zu Bewußtsein, daß es vorüber war. Seine Gehirntätigkeit schien während der Urteilsverkündigung einen Moment lang ausgesetzt zu haben. Das Wort ›schuldig‹ und die darauffolgende Unruhe im Gerichtssaal hatte er kaum wahrgenommen. Erst als er Davis’ gewollt gelassene Miene erblickte, wußte er wirklich, daß er verloren hatte. Dann beugte sich Davis zu ihm herüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Was sagen Sie?« fragte Mike.
    »Man kann nicht immer gewinnen«, wiederholte Davis, als wolle er Mike trösten. Sein väterliches Gehabe regte den Anwalt auf; er wollte erwidern: Wir hätten gewinnen können – wenn Sie mir die volle Wahrheit gesagt hätten. Aber er sagte nichts. Er stand nur auf und wandte sich pflichtschuldigst ans Gericht wegen der Berufung. Er fühlte sich leicht im Kopf, als er aufstand; seine Stimme schien von weither zu kommen. Kurz darauf wurde Davis hinausgeführt, und das Abschiedswinken, mit dem er Mike bedachte, wirkte irgendwie unverschämt. Ich glaube, mir wird schlecht, dachte Mike.
    »Quatsch«, sagte Bill Marceau. »Nicht in der Öffentlichkeit.«
    Mike merkte, daß er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte. »Ich glaube, es ist der Magen«, sagte er. »Ich muß was Falsches gegessen haben.«
    »Ein schwerverdaulicher Brocken«, knurrte Bill. »Denkst du, ich kenne das nicht?« Er lächelte, schlug Mike auf die Schulter. »Los«, sagte er. »Gehen wir ein paar Schritte spazieren, trinken wir einen Kaffee.«
    »Danke, Bill, aber ich glaube nicht –«
    »Was du glaubst, spielt keine Rolle.«
    Sie gingen ins ›Faß‹. Richtig hieß es ›Faß ohne Boden‹, aber das sagte kein Mensch.
    Bill sah ihn über die schmuddelige Tischplatte hinweg an und sagte eine ganze Weile nichts. Sein Schweigen begann Mike zu irritieren.
    »Was ist los?« platzte er schließlich heraus. »Denkst du dir eine Beileidsansprache aus?«
    »Nein. Ich warte, daß du mich tröstest.«
    Mike schielte zu ihm hinüber, dann setzte er ein dünnes Lächeln auf. Er entsann sich, wie sehr Bill ihm abgeraten hatte, den Fall zu übernehmen. Aber jetzt bekam er keine Vorwürfe zu hören, kein ›Ich-hab’s-ja-gleich-gesagt‹. Dafür war Bill ein zu guter Freund.
    »Okay«, sagte er. »Betrachte dich hiermit als getröstet. Und als bestätigt. Du hattest recht, was Davis angeht.«
    »Nicht, was Davis angeht. Ich habe mir genau wie du eingebildet, daß er unschuldig ist; sein Alibi war so primitiv, daß es glaubwürdig schien. Aber was denkst du jetzt, Mike?«
    Mike griff nach seiner Tasse. »Ich denke nichts weiter, als daß ich einen Fall verloren habe. Vielleicht hat die Gerechtigkeit gesiegt. Aber ich habe verloren. Und das merken sich die Leute.«
    »Lächerlich«, wies Bill ihn zurecht. »Du glaubst, das schadet deinem Ruf?«
    »Jedenfalls hilft es ihm nicht. Während der drei Verhandlungstage habe ich nicht das mindeste erreicht, Bill. Du hast es ja miterlebt.«
    »Ich habe gemerkt, daß du nicht mit ganzem Herzen bei der Sache warst. Weil du zur
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