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Die siebte Maske

Die siebte Maske

Titel: Die siebte Maske
Autoren: Henry Slesar
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müssen wir unsere Tochter über gesunde Ernährung aufklären …«
    Das Gespräch wurde beim Kaffee wieder aufgenommen, nachdem Laurie Anne gegangen war, um sich mit ihren Schulaufgaben zu beschäftigen. Nancy, die Adrienne Haven einmal kurz bei Louise Capice getroffen hatte, war noch immer recht beeindruckt von Mikes Bericht. Adrienne war ihr als zerbrechliches, beinahe überzüchtetes Wesen erschienen. Ihre zarten Knochen, der durchscheinende Teint hatten so gut übereingestimmt mit ihrer stillen, ätherischen Art. Das paßte so gar nicht zur Beschreibung eines ungeschliffenen Diamanten vom Schlage eines Tony Jerrick, Fahrzeugbedarfshersteller.
    »Vergiß nicht«, warnte Mike, »wir sprechen noch immer von Gerüchten, nicht von Tatsachen. Abgesehen davon habe ich schon so manche zarte Frau in der Gesellschaft eines rauhbeinigen Kerls erlebt. Du nicht?«
    »Doch, wahrscheinlich schon«, mußte Nancy zugeben, die nur ungern Nachteiliges über das weibliche Geschlecht zur Kenntnis nahm.
    »Und außerdem ist Jerrick vielleicht gar kein so ungehobelter Klotz, wie du meinst. Obwohl er im Gefängnis war –«
    »Ja?«
    »Als er sechzehn war, hat man ihn wegen Autodiebstählen festgenommen. Er wurde in eine Erziehungsanstalt gesteckt, kam heraus, stahl weiter Autos.«
    »Er hatte anscheinend nichts anderes im Kopf als Autos.«
    »Stimmt genau. Er verbrachte sechs Jahre in verschiedenen Besserungsanstalten, und irgendwer hat es fertiggebracht, seine Leidenschaft für Autos in positive Bahnen zu lenken. Man hat ihn zum Mechaniker ausgebildet.«
    »Er ist also eigentlich Automechaniker?«
    »Ein bißchen mehr«, sagte Mike. »Ich habe gehört, Jerrick hat zuerst in einer Autofabrik in Dearborn gearbeitet. Dann kam er zurück nach Monticello, hat in einem der alten Lagerhäuser einen Laden aufgemacht und Autozubehör entworfen.«
    »Mit Erfolg?«
    »Mit großem Erfolg. Innerhalb von sieben Jahren hat er eine neue Art der Motoraufhängung entwickelt, eine neue Zündvorrichtung –«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du redest.«
    Mike grinste. »Ich verstehe selbst nicht viel davon. Jedenfalls ist unser Mr. Jerrick nicht schlecht dabei gefahren. Hat sich einiges patentieren lassen und ganz schön Geld damit verdient. Das ist die beste Methode, einen groben Klotz zurechtzuhobeln.«
    »Und wie hat er Adrienne kennengelernt?«
    »Er hat nicht Adrienne kennengelernt, sondern ihren Mann.«
    »Walter Haven?« Nancy ging ein Licht auf. »Ach ja – die Automobilwerke. Irgendeinen gemeinsamen Nenner mußte es ja geben.«
    »Ja«, sagte Mike. »Autos.«
    »Wie klug du bist«, flötete Nancy mit gekonntem Augenaufschlag.
    »Aber Havens Firma produzierte nicht mehr, sie bestand nur noch auf dem Papier. Und Tony Jerrick schwamm ganz schön oben. Deshalb wollte Walter Tonys Betrieb aufkaufen.«
    »Und hat Tony verkauft?«
    »Ja – nach langen Gesprächen und vielen Einladungen
    »Aha. Und so hat Tony Adrienne kennengelernt.«
    »Ja«, bestätigte Mike. »Und das ist der Ausgangspunkt der Gerüchte. Tony sieht gut aus, er paßt dem Alter nach besser zu Adrienne als Walter – das bietet der Phantasie ein weites Betätigungsfeld. Und das liegt auch dem ganzen Gerede zugrunde – eine ebenso lebhafte wie schmutzige Phantasie.«
    »Bist du sicher, daß das alles ist?«
    »Siehst du!« Mike grinste. »Die schmutzige Phantasie kommt immer wieder zum Durchbruch.«
    Nancy warf eine Semmel nach ihm. Mike fing sie elegant auf, grinste noch breiter und biß ein Stück ab.
    Auch Adrienne Haven saß beim Abendessen.
    Sie trug ein langes schwarzes Kleid mit einer Halskrause aus schwarzem Chiffon; als sie es vor ein paar Wochen in der ›Boutique‹ gekauft hatte, hatte sie nicht im Traum damit gerechnet, daß sie es als Witwe tragen würde. Jetzt unterstrich es ihre blasse Schönheit und leidvolle Miene.
    Ihr Appetit machte ihr zu schaffen. Adriennes Vater, der ihr am Tisch gegenübersaß, tat so, als merke er nichts. Für eine trauernde Witwe attackierte sie ihr Steak mit ungewöhnlichem Elan und kaute den grünen Salat mit der Begeisterung eines hungrigen Kindes.
    Eldon Kyle räusperte sich und sagte: »Liebling?«
    Adrienne blickte ihn mit ihren großen, sanften Augen über einen Happen Fleisch hinweg an.
    »Ja, Dad?«
    »Du ißt zu schnell, Liebes. Wenn du so schnell ißt, kannst du das Essen nicht anständig kauen.«
    »Zu Befehl, Herr Doktor«, sagte sie. Er ließ plötzlich die Mundwinkel hängen; sie beugte sich über den Tisch und
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