Die Sehnsucht der Konkubine
Elena und verschränkte die Arme vor ihrem Busen. Ihre Pupillen waren vor lauter Argwohn nur noch so groß wie Stecknadelköpfe.
»Du weißt genau, was ich sagen werde.«
»Wie soll ich denn wissen, was in deinem verrückten Kopf vorgeht?«
Lydia lächelte. Ihr tat alles weh, und sie wünschte sich nichts so sehr, wie zu schlafen, aber das hier musste sie einfach sagen. »Zuerst einmal möchte ich dir danken, Elena.«
»Wofür?«
»Dafür, dass du mir die Kugel rausgeholt hast.«
Die Frau zuckte mit den Achseln. »Darin habe ich neuerdings reichlich Praxis.«
»Jedenfalls danke ich dir.« Lydia zögerte.
»Was noch?«
Lydia holte vorsichtig Luft. »Ich möchte gerne wissen, warum du mich verraten hast.«
»Wie bitte?«
»Beide Male, als Alexej und ich in den Wald gegangen sind, haben die Soldaten gewusst, dass wir kommen. Sie haben uns Leute hinterhergeschickt, die uns aufspürten, und die hätten uns geschnappt, wenn uns Chang nicht gedeckt hätte. Beim zweiten Mal gab es sogar einen extra Wagen, der den Lastwagenkonvoi überwacht hat.«
Elena saß ganz still da. »Du täuschst dich, Genossin.«
»Die einzigen Menschen, die wussten, was wir tun, waren die wory und Chang, Popkow und ich. Und du.«
»Jeder dieser dreckigen Diebe würde dich ebenso an die Geheimpolizei verkaufen, wie er seiner Großmutter die Kehle aufschlitzen würde.«
»Nein, das stimmt nicht. Diese Leute tun das, was Maxim ihnen sagt, und er ist in meinen Bruder vernarrt, weshalb sie niemals etwas tun würden, was ihm schaden könnte. Auch den anderen würde ich mein Leben anvertrauen.« Sie beugte sich vor. »Also bleibst nur noch du.«
»Nein.«
»Lüg mich nicht an, Elena.« Die Lücken zwischen den Worten wurden immer länger. »Wir wissen beide, dass du es warst.«
»Wenn ich Ja sagen würde«, murmelte Elena, »was würde es für einen Unterschied machen?«
»Für Liew würde es einen Unterschied machen.«
Elena schaute sie lange an. Ihr Blick war hart. »Hast du ihm nicht schon genug wehgetan? Lass ihn jetzt in Frieden.«
»Hast du es deshalb getan? Damit er mich loswird?«
Elena seufzte. »Mädchen, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich, wir beide könnten Freundinnen werden, aber am Ende habe ich erkannt, dass du nicht gut für Liew bist. Wie kann er sein eigenes Leben führen, wenn er doch immer nur deines führt?«
»Ich habe ihn nicht darum gebeten.«
»Nein, dass musstest du auch nicht. Es liegt ihm im Blut, das muss es bei jemandem, der dem alten russischen Leibeigenensystem angehört. Genau wie bei seinem Vater vor ihm. Er ist dir ebenso ergeben wie Misty Edik ergeben ist, und wenn du wolltest, dass er irgendwelche krummen Dinger für dich dreht, dann würde er nicht zweimal nachdenken, bevor er es tut.« Sie atmete langsam aus, doch als sie weitersprach, war da auch ein trauriger Unterton in ihrer Stimme. »Ich musste dich loswerden, Lydia. Um Liews willen.«
Lydia schluckte die Galle hinunter, die ihr in den Mund gestiegen war. »Du hättest mich doch einfach bitten können, zu gehen«, sagte sie leise.
»Das hätte er nie zugelassen.«
Lydia nickte. Schuldgefühle schwappten in ihr hoch, glatt und glitschig.
»Dann hast du mich also verraten, um deinen Kosaken zu beschützen. Weiß er das?«
Ein tiefes Rot stieg Elena in die dicklichen Wangen, und sie legte beide Hände flach auf den Kopf, drückte ihr unfrisiertes Haar zusammen. »Nein«, murmelte sie. »Wirst du es ihm sagen?«
»Nein.«
Die Frau nickte, hob die schweren Schultern und ging zum Fenster hinüber. Mit belegter Stimme sagte sie dann: »Was du für deinen Vater getan hast, war wundervoll.«
Lydia legte den Kopf in die Hände. »Und doch ist er gestorben. Ich konnte ihn nicht retten.«
»Mag sein. Aber er wusste, was du für ihn getan hast.«
»Meine Mutter habe ich auch nicht retten können«, flüsterte Lydia.
»Ich weiß. Du bist auch nicht besser als ich, wenn es darum geht, die Menschen, die du liebst, in Sicherheit zu bringen.« Und dann fügte sie hinzu: »Komm mal hier rüber.«
Lydia glitt vorsichtig aus dem Bett und trat zu Elena ans Fenster. Zu ihrer Überraschung schneite es, kein dichter Schneefall, nur ein federleichter Hauch Flocken, die durch die Luft schwebten und die Welt ganz weich aussehen ließen. Sie standen schweigend nebeneinander und beobachteten die Männer in dem Hof unter ihnen. Chang und Alexej standen stocksteif beieinander, in ein Gespräch vertieft, und Lydia fragte sich, worum es wohl
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