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Die Seemannsbraut

Die Seemannsbraut

Titel: Die Seemannsbraut
Autoren: Alexander Kent
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»Tragt ihn fort!«
    »Wie alt war er?«
    Minchin wußte, der Junge war dreizehn, aber irgend etwas lenkte ihn ab: eine plötzliche Stille, der selbst fernes Geschützfeuer nicht die Bedrohlichkeit nehmen konnte. Das Deck schwankte schwerfälliger, als ob das Schiff tiefer im Wasser läge.
    Die Pumpen liefen noch immer. Meine Güte, dachte er, in diesem alten Kasten schienen sie niemals aufzuhören.
    Blachford bemerkte seine Spannung. »Ist was?«
    Minchin schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht …« Er blickte auf die dunklen Gestalten an der Bordwand. Einige waren bereits tot, aber die anderen warteten, ebenfalls verstummt.
    Er sagte grob: »Es sind alles Seeleute. Sie wissen, daß etwas nicht stimmt.«
    Blachford behielt die rauchverhüllte Leiter im Auge, die ins untere Batteriedeck hinaufführte. Es kam ihm vor, als wären sie die letzten Lebenden an Bord. Er zog seine Uhr heraus und beäugte das Zifferblatt. Minchin bückte sich und füllte seine Tasse wieder bis zum Rand mit Rum. Trotzdem hatte er den feinen goldenen Chronometer mit dem eingravierten Wappen auf dem Schutzdeckel gesehen. Sollte doch der Teufel diesen alten Laffen holen!
    Die Wirkung der einschlagenden Breitseite übertraf alles, was Minchin bisher erlebt hatte. Es mußten viele Geschütze gewesen sein, die da gefeuert hatten, und doch war ihr Abschuß zu einem gigantischen Donnerschlag vereint, der gegen das Schiff krachte, als ob das Geräusch selbst und nicht das Metall in die Hölzer drang. Das Deck verkantete sich und bebte lange nach, aber das Getöse hört nicht auf. Dem splitternden Brechen der Bordwand folgten unmittelbar der Lärm zusammenbrechender Takelage und dumpfes Poltern der vermutlich losgerissenen Geschütze.
    Die Verwundeten schrien und flehten um Luft. Einige zerrten sich mit Krallenfingern über die Planken zur Leiter, eine Blutspur hinterlassend. Blachford hörte zertrümmerte Spieren außenbords gegen die Seite prallen, dann plötzliche Schreie aus dem Zimmermannsgang. Die dort eingeschlossenen Männer tasteten in der Dunkelheit nach einem Ausweg.
    Minchin, den Nachhall der Detonation noch im Ohr, raffte sich vom Boden auf. Einige Ratten rannten an den Toten vorbei hinaus. Er schüttelte den Kopf und versuchte klar zu denken. Als er an Blachford vorbeistolperte, fragte der: »Wohin wollen Sie?«
    »In mein Krankenrevier. Alles, was mir in dieser verdammten Welt gehört, ist dort.«
    »Um Himmels willen, sagen Sie mir, was los ist, Mann!« Minchin stützte sich ab, als das Deck erneut ins Zittern geriet.
    Das Pumpen hatten schließlich aufgehört. Er schrie wütend: »Wir sinken! Aber ich bleibe nicht hier unten und ersaufe!«
    Blachford schaute sich um. Falls ich dies überlebe … Dann riß er sich zusammen. »Seht zu, daß wir die Verwundeten an Deck schaffen.«
    Die Gehilfen nickten, aber ihre Augen wanderten zum Aufstieg.
Hyperion
sank! Ihr Leben, ihr Schiff, ihr Zuhause … Das konnte doch nicht wahr sein! Schuhe klapperten auf der Leiter. Dacie, der einäugige Bootsmannsgehilfe, spähte zu ihnen herunter.
    »Kommen Sie bitte herauf, Sir Piers. Das Deck ist ein blutiges Trümmerfeld.«
    »Und was wird aus den Verwundeten hier?«
    Dacie packte das Geländer und rieb sich sein verbliebenes Auge. Er wollte laufen, weglaufen, immer weiter laufen. Aber sein ganzes Leben lang hatte man ihn gedrillt zu bleiben und zu gehorchen.
    »Ich sage es weiter, Sir Piers.« Weg war er.
    Blachford nahm seine Tasche und eilte zur Leiter. Nach den ersten Stufen fühlte er den Unterschied in der Schräglage. Zum erstenmal beschlich ihn Furcht.
    Jetzt begriff er auch Minchins Zorn.
    Sie sanken.
    Leutnant Stephen Jenour hielt Bolithos Arm fest, auch nachdem er ihn vom Deck hochgezogen hatte. Vor Schreck und Erleichterung war er unfähig, sich zusammenhängend auszudrücken. »Gott sei Dank, o Gott sei Dank!«
    Bolitho sagte: »Nehmen Sie sich zusammen, Stephen.« Sein Blick glitt über das Achterdeck und dann nach vorn; er erfaßte das furchtbare Ausmaß der Zerstörung. Kein Wunder, daß Jenour dem völligen Zusammenbruch nahe war. Wahrscheinlich hatte er sich eingebildet, er wäre der einzige Überlebende hier oben.
    Das Schiff machte den Eindruck, als hätte man es abgetakelt und entblößt, damit keiner seiner Schäden verborgen blieb. Der Kreuzmast war dahin, die Vormaststenge wie von einer Riesenaxt abgehackt. Die großen Spieren trieben mit anderen Wrackteilen längsseits: Rahen, Tauwerk und Menschen. Letztere hingen in den
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