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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest
Autoren: Jürgen Seidel
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dass Gott es nicht verzeihen kann, wenn jemand seine Gnade, sein lebendiges Geschenk verwirft? Andererseits, wie leicht und schnell wird tausendfach getötet, wenn höhere Interessen zählen! Im Krieg! Wenngleich der Krieg auch gottgegeben ist, so wie die Macht der Herrscher, die ihn führen…
    »Gentlemen«, sagte er, nachdem man sich begrüßt hatte, »es ist meine Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass der Verdacht besteht, dass…« Er schwieg plötzlich, blickte zum Fenster. Der Regen trommelte dagegen.
    »Reden Sie schon, Morland!«, forderte Bischof Reed ungeduldig.
    »Es ist schwer zu sagen.«
    »Nicht schon wieder«, maulte Reed sofort. Er schmatzte. »Sagen Sie klipp und klar, was Sache ist!«
    »Mir ist zu Ohren gekommen…« Thomas tastete nach Worten. »Man erzählt sich, Gentlemen, dass diese Kinder… dass sie womöglich nicht freiwillig aus dem Leben…«
    »Was soll das heißen?«, fragte Pinchbeck. Er hörte auf, an seinem Pelz herumzuzupfen. »Und diese Briefe?«
    »Es besteht die Möglichkeit, dass jemand anders sie geschrieben hat«, sagte Thomas.
    Alle Blicke trafen ihn.
    »Was steckt dahinter, Morland?«, fragte Pinchbeck. »Ich muss wissen, was ich Wolsey sagen soll. Der Lordkanzler hat die Pflicht, dem König zu berichten.«
    »Ich weiß es nicht«, gab Thomas zu. »In Newgate Prison redet man mit vorgehaltener Hand. Sie erinnern sich an diesen Johan Whisper, diesen lästernden Rathausschreiber. Man sagt, er habe eine Beichte abgelegt, bevor er starb.«
    »Er ist gestorben?«, fragte Rektor Furges.
    Thomas hob die Hand. »Es heißt, er habe eingestanden, dass er gezwungen worden sei zu schreiben.«
    »Er hat sich wichtig gemacht, damit man ihn freilässt. Das kommt immer wieder vor«, vermutete Skinner.
    »Und wenn nicht?« Pinchbeck fixierte ihn, dann Thomas.
    »Aber kein Mensch ist fähig«, erklärte Furges, »Schüler nur mit Worten dazu zu bringen, dass sie… Nein, das ist ausgeschlossen.«
    »Deshalb mein Verdacht«, sagte Thomas schnell, »dass jemand gar nicht erst gewartet hat, bis diese jungen Menschen sich…«
    »Wir hatten heute Morgen einen neuen Toten, einen Schüler namens Gascoigne, und einen Brief, und wenn der Schreiber Whisper tot ist…«, sagte Reed.
    »Ich sage ja, dass jeder schreiben kann«, erklärte Thomas.
    »Wenn sich Ihr Verdacht erhärtet, Sir Thomas«, sagte Doktor Furges unerwartet, »sind wir von unserer Pflicht entbunden. Was soll eine Atheismuskommission ausrichten, wenn Schüler von einem Wahnsinnigen getötet werden? Mich würde es erleichtern. Die Schule ist in aller Munde. Alle Welt lästert über uns. Dass unsere Schüler, statt zu lernen, Lehrer überfallen. Wir wissen alle, von wem die Rede ist, nicht wahr? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!«
    Man stimmte zu.
    Nur Thomas nicht. Er hatte gar nicht zugehört.
    »Sie haben Recht, Furges!«, rief Bischof Reed. »Ob diese Schüler sich aus freien Stücken selbst getötet haben oder ob man sie dazu gezwungen hat, ist einerlei. Nicht einerlei dagegen ist, ob es einen Kindermörder gibt. Aber das herauszufinden kann unsere Pflicht nicht sein. Ich schlage vor, das Protokoll um diesen Zusatz zu ergänzen und uns von dieser ganzen Untersuchung freizusprechen.«
    Alle gaben ihm Recht. Nur Thomas hatte Schmerzen. Er merkte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, er zwang sie weg. Drüben an einem schmalen Pult, gleich an der Tür, saß ein Skribent und wartete auf das Diktat. Auf ihn, Sir Thomas Morland, der nicht im Geringsten wusste, was er ihm diktieren sollte.
    Der Bischof hustete schon ungeduldig.
    Thomas wischte sich durch das Gesicht, es glühte. Dann stand er auf und redete im Sinne dessen, was Reed soeben vorgeschlagen hatte.
     
     
    A LS ER DAHEIM DEN H OF BETRAT , stand Lady Alice händeringend in der Tür. Er schaute sie verwundert an.
    »Was ist?«
    »Du wirst es selber sehen.«
    Er betrat das große Zimmer und wurde bleich. Er zog den Mantel aus und reichte ihn der Magd, die damit flüchtete. Am Tisch saß William Gills, noch weißer als er selbst. Dicht neben ihm stand Margaret und sah ihn, den Vater, mit einer Miene an, die er noch nie gesehen hatte. Sie wirkte beinah fremd und so erwachsen, dass er sich mit Bedacht für einen Augenblick von diesem Eindruck lösen musste, um sich zurechtzufinden.
    »Das hätten wir geschafft.« Er merkte, dass es die falschen Worte waren. Er selbst war überrascht, dass William vor ihm saß. »Nicht wir… Ich meine, du… Erzähl! Was ist passiert?«
    »Sie,
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