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Die Seelenjägerin - 1

Die Seelenjägerin - 1

Titel: Die Seelenjägerin - 1
Autoren: Celia Friedman
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finden, allen Mut zusammennehmen, die vielfältigen Schmerzen ihres vorzeitig gealterten Körpers in den Hintergrund drängen, damit der Verstand die Oberhand gewinnen konnte. Zumindest den hatten ihr die Götter noch gelassen.
    Ich wollte ohnehin kein weiteres Pestjahr erleben , sagte sie sich. Eine solche Zeit des Grauens sollte für jeden genug sein.
    Sie summte leise vor sich hin, um ihre Hexenkräfte zu sammeln. Die Frau und das Mädchen beobachteten ihre Vorbereitungen wie gebannt. Wenn sie ihnen nur zeigen könnte, was sie fühlte! Wenn sie nur mit einem anderen Menschen – ganz gleich, mit wem – den Schmerz und die Freude, die Angst und den Triumph teilen könnte, die in einem magischen Werk beschlossen waren. Jemanden zu finden, der verstand, was die Gabe war, wie teuer sie für ihren Einsatz bezahlen musste, das hätte alles aufgewogen. Denn ein solcher Mensch wüsste auch ihr Opfer zu würdigen. Er würde sie lieben für das, was sie aufgegeben hatte, anstatt sie zu hassen, weil sie so oft versagt hatte.
    Als endlich alles bereit war, die Musik, der Raum – das Kind und die Mutter, die Zeit, die Nacht draußen und die ganze Welt –, tauchte sie hinab in die Tiefen ihres Ichs, bis sie das Herz ihrer Macht gefunden hatte. Wo die Flammen in ihrer Jugend so hell aufgelodert hatten, glomm das Seelenfeuer nur noch schwach, erbärmlich schwach. Ihre Seele war uralt und nahezu erschöpft. Sie hätte kein weiteres Jahr mehr durchgehalten, sagte sie sich. Und der Hass des ganzen Dorfes hätte dieses Jahr kalt und einsam gemacht.
    Bist du sicher? , flüsterte der Tod ihr ins Ohr. Ganz sicher, Imnea? Diesmal gibt es kein Zurück.
    »Fahr zur Hölle«, antwortete sie ebenso leise.
    Die Lebenswärme ihrer Seele erfüllte ihren Leib und vertrieb die Kälte der Winternacht. Dann strömte sie nach außen und drang in den Jungen ein. Rein und klar, ein heilendes Geschenk. Sie schloss die Augen und verfolgte mit den übrigen Sinnen, wie die Wärme den schwindenden Lebensmut des Jungen stärkte, seinem Athra neue Kräfte spendete und es auf ein Ziel ausrichtete. Der Kleine schrie auf, als das Feuer durch seine Adern floss, aber weder Mutter noch Tochter zuckten zusammen.
    Die Seuche hatte sich an tausend Stellen eingekrallt und war fest in seinem bisschen Fleisch verankert. Imnea zog Energie aus ihrem eigenen Athra, bündelte sie mit der Seele des Kindes und brannte alle Herde aus. Für manche Hexen war eine Krankheit wie ein Lebewesen, das sich wehrte, wenn man es töten wollte; sie selbst sah eher tausend oder zehntausend solcher Lebewesen, die entweder zurückschlugen, sich tarnten oder sich tief im Fleisch vergruben. Wenn man sie nicht alle ausfindig machte, kehrte die Krankheit später mit neuer Kraft wieder. Wie viel von ihrer Lebenskraft mochte sie in den ersten Jahren vergeudet haben, bevor sie diese Lektion gelernt hatte?
    Das Scheit im Herd war nicht angebrannt; das Feuer war am Erlöschen. Die Kälte des Winters kroch in die Hütte und in ihre Knochen, aber sie tat nichts dagegen. Um ihren Leib zu wärmen und den Jungen zu heilen, reichten ihre Kräfte nicht mehr. Ohnehin hätte keine vernünftige Hexe ihre Gabe darauf verschwendet, sich warm zu halten … solange sie noch Holz zu verbrennen hatte. Für Alltagsarbeiten war die Gabe zu kostbar. Leider hatte sie das in der Jugend ihres Hexenlebens noch nicht begriffen! Bei der Erinnerung an die hundertundein überflüssigen kleinen Zaubertricks, an all die Kunststücke, die sie zu ihrem Vergnügen aufgeführt hatte, um Aufmerksamkeit zu erregen oder sich das Leben zu erleichtern, kroch ihr eine Träne über die Wange. Wie viel Zeit käme wohl zusammen, wenn sie all das rückgängig machen könnte? Würde sich ihr Leben um eine Woche verlängern, vielleicht gar um ein Jahr?
    Jetzt ist es zu spät , flüsterte der Tod.
    Sterben. Sie starb. So fühlte es sich also an, wenn die Glut der Seele erlosch. Sie spürte, wie die letzten Fünkchen ihres Athra kraftlos flackerten. Nur noch so wenig Energie. Wie viel Zeit? Lediglich Minuten, oder am Ende eine ganze Stunde, in der sie sich fragen konnte, ob sie richtig gehandelt hatte?
    »Es ist vollbracht«, sagte sie leise.
    Die Mutter beugte sich nieder, um ihr den Jungen abzunehmen, doch als sie sein Gesicht sah, zögerte sie. »Er sieht noch genauso aus wie vorher.«
    »Seine Seele ist rein. Die Pusteln trocknen in ein bis zwei Tagen aus. Dann ist er über den Berg.«
    Wenn allerdings du, seine Mutter … wenn auch du
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