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Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin

Titel: Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Autoren: Philippa Gregory
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lang puren Neid, als ich sah, wie weich der Stoff ihre Gestalt umspielte. Ich wartete, bis die beiden aus meinem Blickfeld verschwunden waren. Dann eilte ich an meinen Platz im Audienzsaal der Königin.
    Anne sollte gleich sehen, wie sehr ich in den reich mit Wandteppichen ausgehängten Gemächern der Königin zu Hause war. Ich würde mich außerordentlich erwachsen und elegant erheben und sie begrüßen. Doch als die Tür aufging und sie hereintrat, überwältigte mich die Freude, und ich rief unwillkürlich laut »Anne!« und rannte mit wehenden Gewändern auf sie zu. Und Anne, die mit hoch erhobenem Kopf eingetreten war und mit ihren arroganten dunklen Augen pfeilschnell den ganzen Raum überflogen hatte, fiel genauso aus der Rolle, war plötzlich keine großartige junge Dame von fünfzehn Jahren mehr und breitete die Arme aus.
    »Du bist gewachsen«, sagte sie atemlos, während sie mich fest umarmte und ihre Wange an die meine drückte.
    »Ich trage so hohe Absätze.« Ich sog ihren vertrauten Duft ein: Seife und Rosenessenz auf der warmen Haut, Lavendel aus ihrer Kleidung.
    »Geht es dir gut?«
    »Ja. Und dir?«
    »
Bien sûr!
Und wie ist es? Der Ehestand?«
    |13| »Nicht schlecht. Schöne Kleider.«
    »Und er?«
    »Sehr vornehm. Immer beim König, hoch in seiner Gunst.«
    »Hast du es schon mit ihm gemacht?«
    »Ja, vor Ewigkeiten.«
    »Hat es weh getan?«
    »Sehr.«
    Sie trat ein wenig zurück, um mein Gesicht zu mustern.
    »Nicht zu sehr«, wandte ich ein. »Er versucht, sanft mit mir zu sein. Er gibt mir immer Wein. Es ist eigentlich alles ziemlich scheußlich.«
    »Wieso scheußlich?«
    »Er pißt in den Topf, gleich neben mir, wo ich es sehen kann.«
    Sie bog sich vor Lachen. »Nein!«
    »Nun, Kinder«, sagte mein Vater, der hinter Anne auftauchte. »Mary, stelle der Königin deine Schwester Anne vor.«
    Gehorsam führte ich sie durch das Gedränge der Hofdamen zur Königin, die aufrecht auf einem Stuhl beim Kamin saß. »Sie ist sehr streng«, warnte ich Anne. »Hier geht es nicht zu wie in Frankreich.«
    Katherine von Aragon musterte Anne mit ihren klaren blauen Augen, und plötzlich durchfuhr mich beinahe schmerzlich die Angst, sie könnte mir meine Schwester vorziehen.
    Anne sank vor der Königin in einen tadellosen französischen Hofknicks und erhob sich, als läge ihr der ganze Palast zu Füßen. In ihrer Stimme schwangen verführerische Untertöne mit, jede ihrer Gesten kündete vom französischen Hof. Voller Freude stellte ich fest, daß die Königin auf Annes elegante Manieren mit eisiger Ablehnung reagierte. Ich führte meine Schwester zu einem Fenstersitz.
    »Sie haßt die Franzosen«, erklärte ich. »Sie wird dir niemals erlauben, dich in ihrer Nähe aufzuhalten, wenn du so weitermachst.«
    Anne zuckte die Schultern. »Das ist die neueste Mode in der Etikette. Ob es ihr gefällt oder nicht. Was denn sonst?«
    »Spanisch?« schlug ich vor. »Wenn du dich unbedingt verstellen mußt.«
    |14| Anne lachte lauthals auf. »Und diese scheußlichen Hauben tragen! Sie sieht aus, als hätte ihr jemand ein Dach auf den Kopf gesetzt.«
    »Psst«, zischte ich tadelnd. »Sie ist eine wunderschöne Frau. Die schönste Königin Europas.«
    »Sie ist eine alte Frau«, erwiderte Anne grausam. »Trägt wie eine alte Frau die häßlichsten Kleider Europas, kommt aus der dümmsten Nation Europas. Wir haben für die Spanier nichts übrig.«
    »Wer ist wir?« fragte ich kühl. »Nicht die Engländer.«
    »Les Français!«
sagte sie zu meinem Ärger. »
Bien sûr!
Ich bin inzwischen beinahe selbst Französin.«
    »Du bist in England geboren und aufgewachsen, genau wie George und ich«, antwortete ich nüchtern. »Und ich wurde genau wie du am französischen Hof erzogen. Warum mußt du immer so tun, als wärst du etwas Besseres?«
    »Weil jeder schließlich irgend etwas tun muß.«
    »Was meinst du damit?«
    »Jede Frau braucht etwas, das sie von allen anderen unterscheidet, etwas, das ins Auge fällt, das sie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Ich werde eben Französin sein.«
    »Du gibst also vor, etwas zu sein, was du nicht bist«, sagte ich mißbilligend.
    Sie funkelte mich an, musterte mich mit ihren dunklen Augen, wie nur sie es konnte. »Ich verstelle mich nicht mehr und nicht weniger als du«, erwiderte sie ruhig. »Meine kleine Schwester, meine kleine goldene Schwester, meine Milch-und-Honig-Schwester.«
    Ich schaute mit meinen helleren Augen in ihre dunklen und begriff, daß ich ihr Lächeln
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