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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten
Autoren: Ernst Augustin
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Krankheit litt (was wir auch nicht gewußt hatten), und von dort auf den Satz, «der wegen der Dunkelheit seiner Lehre der Dunkle genannt wurde». Oh, ich vergaß, von Solei zu Chamisso geht es natürlich über die Vogeleier auf «Tristan da Cunha»(*) 1 . Ich möchte damit nichts gegen das wissenschaftliche Lesen sagen, lediglich dessen Abenteuerlichkeit aufzeigen, und mit einigem Glück landet man dann an diesem Vormittag bei den Episkopaten! (*), um sich schließlich über die Wirkung des Histamins bei übermäßiger Sonneneinwirkung zu belesen.
    Histamin, las ich, ist ein Gewebehormon, das im Körper aus der körpereigenen Aminosäure Histidin entsteht und gefäßerweiternd wirkt. Es entsteht -und soweit hörte es sich harmlos an - unter besonderen Reizbedingungen, seien sie entzündlicher, allergischer, physio-physikalischer Natur, etwa bei Strahlungsschäden. Als mehr oder weniger unterschwelliger Akt des Körpers. Der allerdings überschwellig werden kann, hieß es, um dann als echtes Krankheitsbild in

    1 (*) entspr.- Buch-Code
    Erscheinung zu treten, und zwar mit hoher Durchlässigkeit der Gefäßwände, «wie ein Sieb».
    Ich vereinfache hier die Information, die sich im Handbuch der Inneren Medizin! (*) über acht Seiten erstreckte (S. 1049-1057), und ich kann natürlich nur das wiedergeben, was ich selber verstehen konnte. Zu den gefährlichsten Reaktionen, die auftreten können, hieß es, gehöre das Hirnödem, die Hirnschwellung, der Hirndruck, ein dramatisches «rotes» Phänomen, das im Extremfall zum Tode führt.
    An welcher Stelle ich aufmerkte.
    Darauf gekommen war ich durch das «Studium seltener Todesarten(*) von P.W. Beckmann im Tauberverlag, welches die absurdesten Zusammenhänge herstellt. Ein ganzes Kapitel zum Beispiel war nur den Haushaltsgeräten gewidmet, allesamt anscheinend zu dem einen Zweck erfunden, den Ehegatten zu beseitigen. Oder das Kapitel über Sitzgelegenheiten! Nicht zu vergessen die unendliche Zahl todbringender Substanzen im Haushalt wie etwa Apfelsinenschalen - das Geheimnis der Freimaurer (wohlgemerkt nur das innere Weiße) - oder Glasstaub. Oder die Abreibe von Messinggeländern.
    Interessiert hatte mich natürlich die Wirkungsweise von Sonnenschutzmitteln, da ich hier der Sache erheblich näher kam. - Sonnenschutzmittel, besonders die mit den hohen Schutzgraden 36 bis 48, ließ ich mich belehren, bewirkten nichts anderes, als die Haut mit einer Folie zu überziehen, mit einem chemischen Hemd sozusagen. Man kenne die bedauernswerten Kinder am Strand, die wie ein Stück blauer Seife aussehen. Na ja. Es gäbe aber auch wirkliche Schutzmittel, hieß es weiter, Substanzen, die den Reizvorgang als solchen blockierten, allerdings eher in Form von Tropfen oder Tabletten, in Amerika sogar als Erfrischungsgetränk, «Sunkiss-Tonic», «Bitter Daiquiri». Es entsteht kein Histamin, keine Rötung, keine Schwellung, keine Entzündung: kein Sonnenbrand.

    *

    Nun darf ich aber bezüglich aller Information, die ich hier anführe, eine Einschränkung machen. Eine Einschränkung und eine Erweiterung: Neben dem wissenschaftlichen gibt es natürlich das schöpferische Lesen, das übergeordnete, höhere, das zu besonderen Ergebnissen führen kann. Eine Art Eigenproduktion des Lesers, abhängig von räumlichen, atmosphärischen, persönlichen, sogar klimatischen Bedingungen (in den Tropen liest es sich anders).
    In der Zwischenzeit nämlich hatte sich der große Lesesaal, in dem ich mich befand, so weit gefüllt, das Lesepublikum so weit verdichtet, Schulter an Schulter, daß hier im Laufe des Vormittags ein fast körperlich greifbarer Hochdruck entstanden war. Ein starker Lautpegel bei strengstem Sprechverbot, nicht eigentlich hörbar, aber deutlich spürbar, ein imaginäres Ommm als Dauerzustand.
    «Ommmmmm…»
    Ich will mich nicht entschuldigen, doch habe ich mich vielleicht etwas davontragen lassen. Ausgesetzt der geballten Hirntätigkeit von Hunderten studierter Menschen dicht neben mir, inmitten vier Millionen Büchern und einer Gesamt-Klenze’schen Architektur habe ich vielleicht etwas hineingelesen, was nicht unbedingt im Text stand.
    Es handelte sich also um die Folsäure.
    Man versteht, ich hatte nicht nach ihr gesucht, das wäre auch gar nicht möglich gewesen, ich hatte sie nur gefunden. Und es war eine höchst widersprüchliche, schillernde Information, die mir da wie ein bunter Käfer eigenständig aus den Seiten entgegengekrochen kam, an diesem besonderen Tag. Und ein
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