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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin.
Autoren: Marlene Streeruwitz
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zu suchen. Amy müsse entschuldigen. Es wäre halt sehr viel. Diese Sache. Die Frau fand ein Taschentuch und wischte sich den Mund ab. Sie steckte das Taschentuch in die Tasche zurück. Wischte ihre Hände an ihren Jeans ab. Sie schluckte. Räusperte sich. Hüstelte. Sie nahm ihr Glas Orangensaft. Hielt es in der Hand. Starrte von oben in den Orangensaft hinunter. Sie seufzte. Ihr Ingo. Der wolle das nicht. Ingo wolle nicht, dass sie das sagte. Die Ärzte hätten die Verletzung ja angezeigt. Das Krankenhaus wäre dazu verpflichtet gewesen. Aber ihr Ingo. Der schüttle immer nur den Kopf. Er wolle gesund werden. Das wäre das einzig Wichtige. Die Frau schüttelte den Kopf. Seufzte noch tiefer. Im Gegenteil. Er mache ihr Vorwürfe. Vorwürfe. Das müsse man sich vorstellen. Er wolle sich nicht erinnern. Er sage nur, dass er sich nicht erinnern könne. Er wolle das nicht. Und er frage nur, warum sie ihn dazu zwingen wolle. Er sei froh, nichts Genaues wissen zu müssen. Es würde nichts ändern. Seine Knie müssten zusammengeflickt werden, was immer geschehen sei. Er habe keine Erinnerung. Deshalb sei ihm das auch gleichgültig. Er wolle seine Ruhe haben. Seinen Frieden. Sein Leben. Er wolle nur sein Leben wiederhaben. Ob Amy das richtig fände. Das alles.
    Sie leerte Zucker aus dem schmalen, hellgrünen Zuckersäckchen in ihren Kaffee. Sie musste sich konzentrieren. Sie konnte sich nicht daran gewöhnen, dass Ginos Mutter Gino Ingo nannte. Und dass Gino seine Mutter ihn Ingo nennen ließ. Die Eibensteiners hatten Gino auch immer Ingo genannt. Weil das auf seiner Lohnsteuerkarte so gestanden hatte. Aber da war Gino jedes Mal wütend geworden. Er war dann zu ihr ins Zimmer gekommen und hatte geschrien, dass die dann doch ihren Gästen selber die wellness verpassen sollten. Wenn sie ihn nicht so weit respektieren konnten, dass sie ihn mit dem Namen ansprachen, den er bestimmte. Und überhaupt. Sie sollten Herr Magister Denning zu ihm sagen. Seine Wut hatte dann nie lange gedauert. Gino fiel immer wie von selber in sein Gleichgewicht zurück. Gino war immer so easy in sein Gleichgewicht zurückgeschaukelt. Gino sah einfach nur das Positive. Vor der Operation. Am Abend. Gestern. Sie hatten einen Augenblick alleine gehabt. Ginos Mutter war in das Bistro gegangen. Abendessen. Sie war bei Gino sitzen geblieben. Gino hatte sie angelächelt, nachdem seine Mutter aus dem Zimmer war. Wäre das nicht total herrlich. Seine Mutter. Sie holten alles nach. Alles, was sie in den letzten 15 Jahren versäumt gehabt hatten. Also praktisch sein ganzes Leben. Aber jetzt wären sie eine Mutter-Sohn-Combo der besten Sorte. Er fände es natürlich schon ein bisschen betrüblich. Gino hatte betrüblich gesagt. Er fände es natürlich schon irgendwie betrüblich, dass es seiner Verstümmelung bedurft hätte. Dass seine Mutter sich jetzt so sehr als seine Mutter fühlen könne, seit er ihr nicht mehr davonlaufen könnte. Seit er pflegebedürftig wäre. Aber seine Mutter. Die käme eben aus den 60er Jahren. Man müsse ja nur die Filme aus dieser Zeit anschauen. Und die Fernsehshows. Dann wisse man gleich, wie fucked up diese Generation werden hatte müssen. Gino redete auch mit ihr nicht über die Wahrheit. Er hatte nur gefragt, ob sie noch daran arbeite, die schärfste Agentin der gesamten Sicherheitsbranche zu werden. Die Superhostess der Sicherheit. Ob sie noch »allsecuriere«. Sie hatte ihm erzählt, dass sie jetzt Trisecura hießen. Und von der Fusion und dem verpatzten Börsengang. Und vielleicht. Vielleicht wusste Gino wirklich nichts. Konnte sich wirklich nicht erinnern. Die Gehirnerschütterung. Die Schädelbasisprellung. Da war das durchaus normal. Gino wollte Genaueres wissen. Was mache Cindy. Könne sie sich an Cindy erinnern. Aber sie wusste nichts. Konnte ihm nichts sagen. Sie habe sich um die Tante Trude gekümmert. Gregory hatte sie auch nichts wissen lassen. Der war bombastisch gewesen. Wie immer. Aber im Augenblick fahre sie nur zwischen Krankenhäusern und Reha-Kliniken herum.
    Es gäbe solche Zeiten, hatte Ginos Mutter geseufzt. Ginos Mutter war über den Balkon ins Zimmer zurückgekommen und hatte zugehört gehabt. Von draußen. Ginos Mutter rauchte. Heimlich. Vielleicht aber hatte sie gehofft, Gino würde ihr etwas erzählen. Gino könnte sich erinnern, während ihr Ingo die Erinnerungen abwehrte. Gino hatte dann fernsehen wollen. Wenn er am nächsten Morgen bei der Operation abkratze, hatte er gesagt. Dann wolle er
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