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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin.
Autoren: Marlene Streeruwitz
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doch aufsetzen. Sie legte den Kopf zurück. Starrte ihre Wangen entlang weiter ins Weiß. Der Wodka eisig und weich im Mund. Sie hielt die Flasche in der Linken und schob die Rechte wieder in den Handschuh zurück. Sie trank wieder. Trank noch einmal. Trank wieder. Sie schaute hinaus und wartete auf den Alkohol. Sie hatte nichts gegessen. Nicht einmal ein Glas Wasser. Der Wodka das Allererste des Tages.
    Der Wodka innen. Neuschnee, dachte sie und musste lächeln. Die Wärme und der kühle Nebel kamen dann freundlich. Keine Explosion im Magen oder dieser Knall im Hirn. Eine bleierne Freundlichkeit breitete sich aus. In ihr. Vom Magen weg füllte sich der Leib, und die Ungenauigkeit stieg in den Kopf und hinter die Stirn und hinter die Kehle und legte sich dann über sie.
    Die weiße Welt rutschte weg. Sie lächelte. Das war schön. Sie schloss die Augen. Das Auto rund um sie vibrierte. Schaukelte sie. Ein wenig. Das Sonnenglitzern schmolz durch die geschlossenen Lider und füllte den Kopf. Sie musste lächeln. Sie saß jetzt tief am Grund der Schneewelt. Sie konnte sich sehen, wie der Bussard sie gesehen hätte. Ein kleines blaues Auto und winzig und irgendwo. In diesem langen, breiten Tal, in dem niemand anderer war als sie. Sie konnte sich sehen, wie sie in diesem Auto saß, und der Wodka in ihr ein kleiner kühler See in der Dunkelheit ihres Körpers.
    Warum aber. Ihre Lider glitten auf, und sie schaute hinaus. Warum war dieser Vogel nicht geflogen. Warum war dieser Vogel nicht davongeflogen. Diese Bewegung. Dieses Abwenden. Diese Abwendung. War der erschöpft. Erschöpfung. Mühevoll hatte das ausgesehen. Mühe. Eine Anstrengung. Eine unendliche Anstrengung in dieser kleinen Bewegung und Verachtung. Der Vogel hatte sie verachtet. Er hatte sie nicht ansehen wollen. Nicht sehen. Er hatte sich abgewandt. Verächtlich abgewandt. War dieser Bussard nicht mehr fähig zu fliegen. War es so kalt. War dieser Bussard so ausgehungert. Hatte er so lange kein Wasser finden können. Sie und ihr kleines blaues Auto hatten an ihm vorbeituckern können, und er hatte sich nur abgewandt. Er war nicht geflüchtet und davon. Er hatte nicht flüchten können. Nicht davon und weg. Fliegen. Davonfliegen und im Flug. Über allem und frei. Das war traurig. Sie nahm die Flasche und trank wieder. Während der Wodka eiskalt über ihren Schlund floss. Vielleicht war sie dem Bussard nicht der Mühe wert gewesen. Vielleicht wusste der Bussard, dass in so einem kleinen blauen Kia keine gefährliche Person daherkam. Hatte sie den Vogel nicht genug erschrecken können und hätte sie hupen sollen und den Vogel vertreiben. Sie drehte sich um und starrte durch das Seitenfenster hinten zurück. Sie ließ sich aber gleich wieder in den Sitz fallen und nahm noch einen Schluck. Sie verschloss die Flasche sorgfältig und hielt sie mit dem Verschluss nach unten in die Höhe. Es rann nichts heraus. Sie legte die Flasche ins Handschuhfach. Sie musste sich jetzt konzentrieren.
    Das mit dem Bussard und dass sie es nicht wert gewesen wäre. Das war schon die Sitzung. Das kam schon aus der Gruppensitzung um 10 Uhr und aus den Rollenspielen da. Sie schaute hinaus. Sie fühlte sich abgetrennt. Gleichzeitig ein Teil. Sie konnte sich von oben beobachten und zur gleichen Zeit der Schnee sein. You wish, dachte sie und lehnte sich vor den Rückspiegel. So schön wie dieser weiße weiche polstrige Schnee. So schön war niemand, und sie. Sie sah so aus wie immer.
    Sie lehnte sich zurück. Sie sollte einen Strich an der Wodkaflasche machen. Eine Marke. Damit sie die Dosis wusste. Die genaue Menge, die ihr dieses schneeglatte Doppelgefühl gab. Die akkurate Menge, die sie so perfekt passiv machte. Sie seufzte. Sie würde diesen Strich nicht machen. Es wäre klug gewesen, aber sie machte solche Klugheiten nicht. Sie legte den ersten Gang ein. Es war nicht so wichtig. Solche Klugheiten legten einen fest, und sie musste ohnehin weitertrinken. Später. Damit sie alles richtig machte, musste sie weitertrinken. Authentisch. Sie war nur mit Alkohol authentisch. Sie konnte nur mit Alkohol authentisch sein, und niemand wollte Klugheit von ihr. Formbar. Das war gewollt, und an ihr war das angezweifelt worden. Also machte sie sich formbar, und mit dem Wodka tat es nicht weh. Mit dem Wodka wurde es noch richtig interessant.
    Sie fuhr. Ließ sich fahren. Im zweiten Gang. Das Auto schlingerte langsam durch den Schnee. Sie saß zurückgelehnt. Ließ sich wackeln und rütteln. Am Ende des
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