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Die Schildbuerger

Die Schildbuerger

Titel: Die Schildbuerger
Autoren: Erich Kastner
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Eifer ihren Berufen zu. Der Schmied beschlug die Pferde. Der Schulmeister brachte den Kindern das Einmaleins mit der Sieben bei. Der Schuster besohlte die Schuhe. Der Bäcker buk das Brot. Und der Herr Bürgermeister spazierte durch Schilda, um nachzusehen, ob in der Stadt auch alles in bester Ordnung sei. Dabei mußte er feststellen, daß auf der Mauer eines Hauses, das vor Jahren altersmüde eingestürzt war, schönes grünes Gras und würzige Kräuter wuchsen. Diesen Übelstand brachte er während der nächsten Sitzung im Rathaus zur Sprache und erklärte, es sei eine Sünde und Schande, daß Gras und Kräuter auf der Mauer nutzlos wüchsen, blühten und verkämen. Der Ochsenwirt schlug vor, die Mauer abzumähen, und wer die Mahd einbringe, der dürfe sie verfüttern. Es meldete sich aber niemand. Denn alle miteinander fanden den Vorschlag zu gefährlich. Die Mauer war hoch und brüchig. Und keiner wollte mit der Sense oder der Sichel hinaufklettern und sich dabei womöglich den Hals brechen. Schließlich und nach langen Debatten fand der Schreiner einen Ausweg. Er sagte: »Wenn schon das Vieh die Mauer kahlfressen soll, dann, finde ich, soll es auch selber hinaufklettern.« Dieser plausible Antrag wurde einstimmig angenommen. Außerdem wurde man sich einig, daß der Kuh des Bürgermeisters die Ehre gebühre. Denn der Bürgermeister habe ja das Gras und die Kräuter droben auf der Mauer entdeckt.
    Am nächsten Morgen wurde also die bürgermeisterliche Kuh feierlich zur Mauer geleitet.

    Der Bürgermeister band das Halfter los und sagte: »So, Minna! Nun klettre hinauf und friß!« Aber die Kuh Minna dachte nicht im Traum daran, hinaufzuklettern! Man schob sie, sechs Mann hoch, dicht an die Mauer. Der Bürgermeister schlug ihr eins hintendrauf.
(Nicht der Mauer, sondern der Kuh.) Es half alles
    nichts. Minna wollte nicht. Da holten sie einen langen Strick, banden ihn der störrischen Kuh um den Hals, warfen das Ende des Stricks über die Mauer und zogen und zerrten und hingen am Seil wie die Küster an der Kirchenglocke.
    Dem armen Tier quoll, wie es so in der Luft baumelte, die Zunge aus dem Maul. »Seht ihr?« rief der Schneider. »Sie kriegt schon Appetit!« Und die anderen brüllten munter: »Hau ruck! Hau ruck! Hau ruck!« Minnas Atemnot wurde immer ärger. Ihre Zunge wurde immer länger. »Gleich wird sie fressen!« meinte der Schmied. Aber sie fraß nicht. Sie verdrehte die großen dunklen Augen, zappelte noch einmal mit den Haxen, und aus war’s. Man lockerte den Strick, ließ Minna wieder zur Erde herunter und konnte nur noch feststellen, daß sie tot war. Es war ein rechter Jammer. Doch die Schildbürger, dumm wie sie seit einiger Zeit waren, hielten nicht viel vom Jammern. Sie schlachteten Minna, die Kuh, und veranstalteten beim Ochsenwirt ein Festgelage. Mit Kuhfleisch. Auf der Speisekarte stand »Kalbsschnitzel«. Minna, die Kuh, als Kalbsschnitzel beim Ochsenwirt – man kann verstehen, daß es dem Bürgermeister nicht schmeckte.

    »Liebe Freunde«, sagte er zerknirscht, »an Minnas vorzeitigem Ableben ist einzig und allein unser Scharfsinn und Verstand schuld. Hätte ich das Gras auf der Mauer nicht bemerkt und daraus gefolgert, daß es nutzbringend verwendet werden müsse, wäre das brave Tier noch munter und guter Dinge. Ich fürchte, wir sind noch immer nicht dumm genug.« Die anderen nickten nachdenklich. Und das Gras und die Kräuter auf der alten Mauer wiegten sich nach wie vor im Sommerwind.
    DIE VERSUNKENE GLOCKE
    Mittlerweile war der Krieg, an Salzburg und Salzwedel vorbei, durchs Land gezogen und schien sich in bedenklicher Weise dem Städtchen Schilda zu nähern. Das erfüllte die Schildbürger und ihre Ratsherren mit großer Sorge. Denn ob nun die jeweiligen Sieger oder die arg Besiegten in eine Stadt kamen, es war immer dasselbe: Die Soldaten gingen in die Häuser und nahmen sich, zur Erinnerung an die große Zeit, mit, was sie fanden, ob das nun silberne Patenlöffel, Konfirmationsuhren, Tischdecken, Porzellanteller, Samtwesten oder Trauringe waren. Ihnen war alles recht. So versteckten die Schildbürger geschwind, was ihnen teuer und wert war. Nur mit der Kirchenglocke wußten sie nichts anzufangen. Sie war aus bester Bronze und ziemlich groß. Und man kannte damals schon die Vorliebe der Kriegsleute für Kirchenglocken. Entweder holte die eigene Partei das tönende Erz aus den Glockenstühlen, um Hellebarden und Spieße draus zu fertigen, oder die Feinde nahmen die Glocken als
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