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Die Schildbuerger

Die Schildbuerger

Titel: Die Schildbuerger
Autoren: Erich Kastner
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Schilda, daß er Ratschläge einhole. Am Ende kamen allwöchentlich mindestens zwei Gesandte aus fernen Reichen und Ländern, brachten prächtige Geschenke von Königen, vom Kaiser und vom Sultan und baten, Schilda möge ihnen den einen oder anderen klugen Einwohner als Minister, Bürgermeister oder Oberlandesgerichtsdirektor ausleihen. So gingen immer mehr Schildbürger ins Ausland, erwarben sich draußen Rang, Ehren und Orden und sandten regelmäßig Geld nach Hause.
    Ruhm, Geld und Titel sind ganz gut und ganz schön. Aber in Schilda selber ging es mittlerweile drunter und drüber. Da die Männer nicht daheim waren, mußten, statt ihrer, die Frauen pflügen, säen und ernten. Die Frauen mußten die Pferde beschlagen und das Vieh schlachten. Die Frauen mußten die Kinder unterrichten, die Steuern einkassieren, die Ernte verkaufen, den Marktplatz pflastern, die Zähne ziehen, das Korn mahlen, die Schuhe besohlen, die Semmeln backen, die Bäume fällen, die Predigten halten, die Scheunen ausbessern, die Diebe einsperren, die Glocken läuten, die Bretter hobeln, den Wein keltern, die Brunnen graben, die Wiesen mähen, die Dächer decken und abends im Wirtshaus »Zum Roten Ochsen« sitzen. Das war zuviel!
    Das Vieh verkam. Die Ernte verfaulte. Es regnete durch die Dächer. Auf dem Marktplatz wuchsen Brennesseln. Die Uhr am Kirchturm ging vier Stunden nach. Die Kinder wurden frech und blieben dumm. Und die armen Frauen wurden vor lauter Sorgen, Mühen und Tränen häßlich und vor der Zeit krumm und alt. Da schrieben sie ihren Männern einen wütenden Brief, worin zu lesen stand, warum und wieso sie nicht länger ein noch aus wüßten, und die Männer sollten sich schleunigst heimscheren!
    Da kriegten die Männer einen Heidenschreck, verabschiedeten sich hastig von ihren tiefbetrübten Königen und Kurfürsten und vom Sultan und fuhren, aus allen Himmelsrichtungen, mit der Extrapost nach Hause zurück.
    Hier schlugen sie erst einmal die Hände überm Kopf zusammen. Sie kannten ihr Schilda gar nicht wieder. Die Fensterscheiben waren zersprungen. Im Hausflur wuchs Moos. Die Wagenräder quietschten. Die Kinder streckten die Zunge heraus. Und der Wind wehte die Ziegel vom Dach. »Das habt ihr von eurer Gescheitheit!« sagten die Frauen ärgerlich. Und die Männer gingen, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett.

    Ein paar Tage später trafen sie sich im »Roten Ochsen«, tranken Bier, klagten einander ihr Leid und kratzten sich hinter den Ohren. Draußen vorm Gasthof standen schon wieder fünf Gesandte aus fremden Ländern und baten um Gehör.

    »Schickt sie weg!« sagte der Ochsenwirt. »Diesmal können wir unsern guten Rat selber brauchen. Das Hemd ist auch uns näher als der Rock.« Dann steckte er den Kopf durchs Fenster und rief: »Wir haben leider alle den Keuchhusten!« Da kletterten die fünf Gesandten auf ihre fünf Pferde und machten sich aus dem Staube. Denn Keuchhusten ist, wie jedes Kind weiß, ansteckend. So hatten die Schildbürger ihre Ruhe, bestellten die nächste Runde Bier, bliesen den Schaum vom Glas und dachten angestrengt nach.
    Beim sechsten Glas wischte sich der Schweinehirt den Schnurrbart und sagte: »Ich hab’s!« Er war lange Zeit Stadtbaumeister in Pisa gewesen, hatte dort den bekannten Schiefen Turm erbaut und galt auch sonst für sehr tüchtig. »Ich hab’s!« sagte er noch einmal. »Die Klugheit war an allem schuld. Und nur die Dummheit kann uns retten.« Weil sie ihn zweifelnd anschauten, fuhr er fort: »Uns bleibt kein andrer Ausweg. Wir müssen uns dummstellen. Sonst lassen uns die Könige, der Kaiser und der Sultan nicht in Ruhe.« »Aber wie stellt man sich dumm?« fragte der Grobschmied. »Es wird nicht ganz leicht sein«, antwortete der Schweinehirt. »Dumm zu scheinen, ohne dumm zu sein, verlangt viel Scharfsinn. Nun, wir sind gescheite Leute, und so werden wir’s schon schaffen.« »Bravo!« rief der Schneidermeister. »Dummsein ist mal was andres!« Und auch den übrigen gefiel der Vorschlag des Schweinehirten ausgezeichnet. Die nächsten zwei Monate übten sie das Sichdummstellen ganz im geheimen. Dann erst traten sie mit ihrem ersten Streich ans Licht der Öffentlichkeit: mit dem Bau ihres neuen dreieckigen Rathauses. Das machte ihnen einen diebischen Spaß. Nur der Schulmeister hatte Bedenken.
    »Denn«, sagte er, »wer sich gescheit stellt, wird davon noch lange nicht richtig gescheit. Wer sich aber lange genug dummstellt, der wird, fürchte ich, eines Tages wirklich dumm.« Als
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