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Die Saeulen der Macht

Die Saeulen der Macht

Titel: Die Saeulen der Macht
Autoren: Maja Winter
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nachzuklettern. Dabei fiel ihm die Sommerharfe aus der Hand und krachte auf die Steine.
    Â» Hoppla « , sagte er, und das unerträgliche Grinsen zauberte einen dümmlichen Ausdruck auf sein Gesicht.
    Als Meister Ralnir auf den Prinzen zustürzte, wusste er selbst nicht, was er eigentlich vorhatte. Wollte er ihn schlagen, ihn zurechtweisen? Wollte er sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Berias sich irrte, dass das Schicksal nie und nimmer so grausam sein konnte, die größte Macht, die diese Welt aus ihrem Schoß heraus geboren hatte, die Hinterlassenschaft der Vier, in die Hände eines betrunkenen Knaben zu legen?
    Der Schwerttänzer von Jakont trat dem Mönch in den Weg, erkannte im selben Augenblick die Kutte und murmelte einen ehrerbietigen Gruß. Der Meister nahm es beiläufig zur Kenntnis, während er sich neben die zerstörte Simbarine kniete. Der Hals war mittendurch gebrochen, die Saiten wölbten sich haltsuchend empor wie die tastenden Spitzen einer Schlingpflanze. Einem Sturzbach gelöster Gefühle gleich durchströmte Ralnir für einen kurzen Moment die Erleichterung, dann erblickte er, was er nicht sehen mochte, wovor er die Augen verschließen wollte– das, was er überall gesucht hatte, nur nicht hier.
    Ein kleines Blatt spross an der kunstvoll gedrechselten Schnecke, aus der sich die Saiten herauslösten; dunkelrot, sodass er es von Weitem nicht hatte erkennen können. Es war nicht geschnitzt oder aufgeklebt, sondern echt. Das Holz lebte. Ralnir hob die zerbrochene Sommerharfe hoch, und der goldene Duft einer Blüte stieg ihm in die Nase. Flammendgelb schimmerte sie ihm durch das geborstene Schallloch entgegen, die Staubgefäße lang und scharlachfarben. Es roch zugleich süß und bitter, nach brennendem Holz und regennasser Erde, aber darüber erhob sich das liebliche Aroma des Frühlings, unaufdringlich und dennoch so intensiv, dass alles andere um den Mönch herum verblasste.
    Die Erkenntnis, dass diese Blüte die erste war seit tausend Jahren, dass dieser Duft für ein ganzes Zeitalter verloren gewesen war, dass er einer der Ersten war, einer der wenigen, die das Privileg genossen, ihn einzuatmen, trieb Ralnir die Tränen in die Augen. Er kniete auf der steinigen Straße, die Simbarine in den Armen, und wusste, dass die Welt nie wieder sein würde, wie sie gewesen war, dass Dinge bevorstanden, die das Antlitz der Erde verändern würden.
    Â» He, Alter, verschwinde! «
    Starke Hände, erfüllt von der Kraft der Jugend, stießen Meister Ralnir beiseite, rissen ihm den Schatz aus den Händen. Der Prinz warf das Instrument achtlos zurück auf den Wagen. Der Mönch schloss die Augen, während er das Krachen von Holz auf Holz vernahm und der Duft der goldenen Blume nur noch eine Erinnerung blieb.
    Â» So könnt Ihr nicht mit einem Gottesdiener reden, Königliche Hoheit « , rügte Meriwan, der stattliche Bruder des Königs, dessen Herz rein und herrlich war wie ein Schatz, seinen Neffen.
    Â» Warum nicht? Er ist alt und fett und hässlich, und ich will seine schmierigen Finger nicht an meinen Sachen haben. «
    Unwürdig, dachte Ralnir. Unwürdig, unwürdig. Das Wort dröhnte wie eine Kriegstrommel in seinen Ohren. Er ist unwürdig.
    Der Meister öffnete die Augen und betrachtete den jungen Mann, während dieser ihn verhöhnte. Prinz Tahan mochte um die zwanzig Königstage zählen; von der Reife, die ihm sein Name und seine edle Herkunft nahelegten, gab es allerdings keine Spur. Auf den ersten Blick wirkte er unscheinbar, doch in seinem blonden Haar spielte ein rötlicher Glanz, und wenn die Sonne darauf schien, wirkte es, als stünde er in Flammen. Seine Augen dagegen waren von einem tiefen Blaugrün, von der Farbe des Himmels kurz vor einem aufziehenden Sturm. Brauen und Wimpern, betörend lang und wie von schimmernder Bronze, gaben ihm das Aussehen eines trotzigen Mädchens. Er war schlank und schmal, aber Ralnir zweifelte nicht daran, dass er in späteren Jahren eine stattliche Statur haben könnte, wenn er sich nicht allzu sehr gehen ließ. Doch das Schönste an Tahan war zweifellos seine Stimme, selbst jetzt, da die Trunkenheit jeden seiner Sätze in einen merkwürdigen Singsang verwandelte, während sein Onkel ihn festhielt, um ihn daran zu hindern, den Störenfried erneut zu schlagen. Der Prinz trat trotzdem zu, aber Ralnir
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