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Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)

Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)

Titel: Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
Autoren: Philippa Ballantine
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wollte sich nicht mehr schließen.
    Mit der Zeit wird das nachlassen.
Auch der Rossin war der Verbindung müde.
    Schließlich siegte die Erschöpfung über das monotone Gerede der Diakone, und der Prätendent konnte ein paar Stunden schlafen. Der Lärm einer Menschenmenge draußen weckte ihn. Es war nicht der Jubel vom Vortag, sondern trauriges Schlurfen und gedämpftes Flüstern. Raed wischte sich den Schlaf aus den Augen, stellte sich aufs Bett und spähte aus dem Fenster.
    Das Gefängnis lag in der Seidenstraße, einer Hauptdurchgangsstrecke von Vermillion, und als er ins frühe Morgenlicht hinausblickte, sah er, dass sie bereits voller Menschen war. Heute gab es keine Fähnchen, und alle waren grau gekleidet. Raed hörte sie sogar weinen.
    Ein Wärter wollte ihm gerade das Frühstück zwischen den Gitterstäben hindurchschieben, und so wagte der Prätendent eine Frage, deren Antwort er fürchtete: »Was geht da draußen vor?«
    Der Mann verzog den Mund und runzelte die Stirn mit einem Ausdruck, den er tags zuvor nicht gezeigt hatte. »Das ist der Leichenzug für den Erzabt.«
    Raed schluckte vernehmlich, während die Furcht ihn packte. »Ein Staatsbegräbnis für einen Verräter?«
    Der Wärter warf das Blechtablett mit Raeds Essen gegen das Gitter. Das war ein Schock, aber der plötzliche Zorn auf dem Gesicht des Mannes war es auch. »Halt dein dreckiges Maul!«, brüllte er. »Du bist es nicht wert, diesem geheiligten Mann die Stiefel zu lecken.«
    Das war ein sehr schlechtes Zeichen, aber Raed konnte sich die Frage nicht verkneifen. »Ihr mögt wohl Mörder, wie?«
    Die Miene des Wärters bekam etwas Listiges. »Gut möglich, dass du heute Abend ganz anders klingst«, erwiderte er und ließ Raed mit dieser Prophezeiung allein.
    Der Prätendent wandte sich wieder dem Fenster zu, um sich anzuschauen, wie der Orden sich um seine Leute kümmerte. Trotz allem musste er sehen, wie alles enden würde. Die Menschen füllten jeden Winkel der Straße, hingen aus allen Fenstern und klammerten sich an jeden anderen Aussichtspunkt, den sie finden konnten. Auch das Geflüster war lauter, und es gab viele wütende Gesichter unter den Trauernden. Raed bildete es sich nicht ein: Zwei, drei Leute blickten Richtung Gefängnis.
    Der Trauerzug kündigte sich durch leise Dudelsackklänge, eine neue Welle des Schluchzens und das Rattern von Kutschenrädern an. Raed umklammerte die Gitterstäbe und zog sich an ihnen ein wenig höher, um mehr von der Straße zu sehen. Vier schwarze Zuchtpferde zogen einen glänzenden Wagen, auf dem ein kunstvoller Stuhl aus Messing und Eiche stand; darüber prangte das Emblem des Ordens: Auge und Faust. Das musste Hastlers Amtsstuhl sein. Dahinter folgte eine weitere Kutsche, auf der ein schlichter Sarg ruhte.
    Raeds Furcht hatte nun seinen Magen erreicht und brodelte hinter seinen Augen. Draußen folgten die Diakone dem Sarg in langen Reihen und wirkten dunkel und ernst, da sie ihre Umhänge gewendet hatten, das schwarze Futter also außen lag. Nur ein gelegentliches Flattern von Smaragdgrün oder Blau ließ erkennen, wer Sensibler und wer Aktiver war. Es mochte nur Einbildung gewesen sein, aber er meinte, einen flüchtigen Blick auf kupferfarbenes Haar in den Reihen zu erhaschen, und schloss kurz die Augen, als Adel und Kaisergarde als Nachhut des Trauerzugs folgten.
    Er war verraten worden. Er war dumm gewesen. Natürlich würde der Orden nicht offenbaren, was ihr Erzabt gewesen war! Es spielte keine Rolle, dass er die Großherzogin gerettet hatte – solche belanglosen Einzelheiten waren ohne Bedeutung.
    Während der Trauergesang in der Ferne verklang, umklammerte der Prätendent die Gitterstäbe so fest, dass seine Hände ganz weiß wurden. So sehr verzehrte ihn sein Zorn, dass er die Veränderung in der Menge nicht bemerkte und erst vom Fenster verschwand, als erste wütende Finger in seine Richtung wiesen – und da war es schon zu spät.
    In der Menge erhoben sich aufgebrachte Rufe. Ein tiefes Brüllen erscholl aus vielen Kehlen, und dann kam eine Flut von Wurfgeschossen. Zwar zeigte Raed sich nicht mehr am Fenster, aber die Leute hatten das Objekt ihrer Wut bereits erblickt.
    Dem lauten Klappern zufolge handelte es sich bei dem, womit das Gefängnis beworfen wurde, nicht um Beerenobst. Es klang vielmehr so, als hätte die Menge, die sich jetzt in einen Mob verwandelte, auch Pflastersteine gelöst. Die Wucht dieser Steine wuchs, und nun konnte er einzelne Worte ausmachen.
    Mörder!
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