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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers
Autoren: Henning Mankell
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wahres Gesicht gezeigt. Wir hatten einen Vater, der das Böse verherrlicht hat.
    Am Morgen des folgenden Tages wurde Stefan zum Flugplatz auf Frösö gefahren. Kurz vor elf setzte seine Maschine in Landvetter auf. Elena holte ihn ab, und es machte ihn froh, sie zu sehen.
    Zwei Tage später, am neunzehnten November, fiel Schneeregen über Boras, als Stefan den Hügel zum Krankenhaus hinaufging. Er war vollkommen ruhig und fühlte, daß er dem, was ihm bevorstand, gewachsen war. Als erstes trank er in der Cafeteria eine Tasse Kaffee. Neben ihm auf einem Stuhl lagen ein paar zerlesene Abendzeitungen vom Vortag. Die ersten Seiten waren voll von den Neuigkeiten über die Ereignisse in Härje-dalen und über die schwedische Sektion eines weltumspannenden Netzes von nationalsozialistischen Organisationen. Der Chef der Sicherheitspolizei hatte sich geäußert: »Eine schok-kierende Entdeckung. Eine Organisation, die viel tiefer reicht und viel gefährlicher ist als die neonazistischen, von Skinheads dominierten Kleingruppen, die wir bisher mit dem faschistoiden Bösen verbunden haben.«
    Stefan legte die Zeitungen weg. Es war zehn Minuten nach acht.
    Er stand auf und ging zu der Abteilung, in der er erwartet wurde.
    Er fragte sich, wohin Fernando Hereira verschwunden war. Man hatte ihn immer noch nicht gefaßt.
    Stefan wünschte vor allem, daß es ihm gelingen würde, nach Buenos Aires zurückzukehren, damit er weiter in Ruhe seine französischen Zigaretten rauchen konnte. Den Mord an Herbert Molin hatte er schon lange gesühnt.
Epilog
    INVERNESS
    April 2000
    Am Sonntag, den 9. April, holte Stefan Elena früh am Morgen ab. Auf dem Weg von der Alleegata nach Norrby ertappte er sich dabei, daß er vor sich hin summte. Er konnte sich nicht erinnern, wann das zuletzt der Fall gewesen war. Ihm war auch nicht gleich bewußt, was er da summte. Eine Melodie, die von weit her kam, dachte er, während er durch die noch schlafende Stadt fuhr. Dann fiel ihm ein, daß es ein Stück war, das sein Vater manchmal auf dem Banjo gespielt hatte. >Beale Street Blues<. Stefan fiel sogar wieder ein, daß sein Vater erzählt hatte, die Straße gäbe es auch in Wirklichkeit, vielleicht in mehreren nordamerikanischen Städten, ganz bestimmt aber in Memphis. Ich erinnere mich an die Musik meines Vaters, dachte Stefan. Aber sein Gesicht, seine wahnwitzigen Ansichten, das alles versinkt schon wieder im Dunkel. Er ist aus der Schattenwelt zurückgekehrt, um zu erzählen, wer er eigentlich war. Jetzt habe ich ihn wieder fortgestoßen. Die einzige Erinnerung, die ich jetzt und in Zukunft an ihn bewahren will, ist die Musik, die sich in meinem Kopf festgesetzt hat. Und darin kann ich vielleicht auch einen Zug finden, der mich mit ihm versöhnt. Für die Nazis waren die Afrikaner mit ihrer Musik, ihren Traditionen, ihrer Art zu leben etwas Barbarisches. Afrikaner waren nichts anderes als Menschen auf einem niedrigeren Niveau. Auch wenn der schwarze amerikanische Leichtathlet Jesse Owens der Größte bei der Berliner Olympiade 1936 war, weigerte sich Hitler, ihm die Hand zu geben. Aber mein Vater liebte die schwarze Musik, den Blues. Er verheimlichte das auch nicht. Vielleicht finde ich da den Riß in seiner Mauer, daß er sich nicht nur dem Bösen und der Menschenverachtung verschrieben hatte. Ich werde nie wissen, ob ich recht habe. Aber ich kann wenigstens selbst entscheiden, was ich glauben will.
    Elena wartete schon vor der Haustür auf ihn. Auf dem Weg nach Landvetter sprachen sie darüber, wer von beiden sich am meisten auf die Reise freute. Elena, die fast nie aus Boras herauskam, oder Stefan, der nach seinem letzten Gespräch mit der Ärztin ernsthaft zu hoffen begann, daß er seinen Krebs durch die erste Strahlenbehandlung und die nachfolgende Operation besiegt hatte. Die Frage nach der Vorfreude auf die Reise fand keine Antwort, es war nur ein Spiel.
    Sie flogen um 07.35 mit British Airways nach London Gat-wick. Elena, die Flugangst hatte, hielt krampfhaft seine Hand fest, als die Maschine von der Startbahn abhob und nördlich von Kungsbacka über dem Meer in die Wolken stieg. Als sie die Wolkendecke durchstießen, empfand Stefan ein plötzliches Gefühl von Freiheit. Sechs Monate lang hatte er mit einer bohrenden Furcht gelebt, die ihn selten oder nie verlassen hatte. Jetzt war sie verschwunden. Es war natürlich nicht sicher, daß er jetzt gesund war und es bleiben würde, seine Ärztin hatte ihm gesagt, daß er fünf Jahre lang Kontrollen
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