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Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman

Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman

Titel: Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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dachte bei mir:
    Sie ist kein Dummkopf und wird schnell kapieren, dass ich gar keine Assistentin brauche.
    Ohne sie anzuschauen, sagte ich:
    »Es ist gut, eine Assistentin zu haben, die mir hilft, den Wagen von Ort zu Ort zu ziehen, Plakate aufzuhängen und die Zuschauer zu unterhalten. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dich leicht bekleidet in einer größeren Menschenmenge zu bewegen. Wir halten nur bei gutem Wetter Vorstellungen ab.«
    Sie nickte.
    »Darf ich jetzt die Taube sehen?«
    »Die Taube? Ja, sie ist hier in dem Käfig oben auf dem Schrank.«
    Ich öffnete das Türchen, hinter dem die Taube auf einem Strohbett lag.
    »Oh, wie süß, ist die hübsch!«, sagte Maria und steckte ihre Hand in den Käfig.
    »Pass auf, der verdammte Vogel beißt!«
    »Ach, bist du eingesperrt, mein Engel«, flüsterte Maria und streichelte dem Vogel den Hals. Sie holte ihn heraus.
    »Sie ist festgebunden.«
    »Damit sie nicht wegfliegt.«
    »Sie fliegt nicht weg, wenn sie bei uns bleiben will.«
    Maria löste die Schnur um den Fuß des Vogels. Ich wollte sie davon abhalten, weil ich keine Lust hatte, den ganzen Tag mit Taubenjagd zu verbringen, doch als ich das Mitgefühl aus Marias Augen strahlen sah, ließ ich es bleiben. Sie hielt die Taube, schürzte die Lippen und neigte den Kopf. Der Vogel schien ihren Speichel zu trinken und rieb dann seinen Kopf an ihrer Nase. Entgeistert starrte ich sie an und schüttelte den Kopf:
    »Tja, es ist wohl am besten, wenn du dich um den Vogel kümmerst.«
    »Er heißt Gabriel.«
    »Na gut, dann eben Gabriel.«
    Ich zeigte ihr, wo die Werbeplakate, Klebstoff und Filzstifte waren, um Ort und Zeit der Vorstellung einzutragen.
    »Wir haben morgen um halb eins Premiere, dann erreichen wir die Leute, die mittags zum Essen rausgehen. Es ist gutes Wetter angesagt.«
    Ich erzählte ihr von einem Laden, der Zirkuskleidung verkaufte, sagte ihr, was sie kaufen solle, und gab ihr Geld. Dann musste ich ein paar Dinge erledigen, unter anderem zum Bezirksamt gehen, um meine Platzreservierung zu bestätigen und zu bezahlen.
    Am nächsten Morgen wachte ich früh auf, denn ich war nervös wegen der Premiere. Unten im Hof überprüfte ich die komplette Ausrüstung, ölte noch einmal alle Apparaturen, kontrollierte die Batterie, testete den Auslöser für den Feuerschlucker. Alles war in bester Ordnung. Gegen acht Uhr ging ich rauf und klopfte an Marias Tür.
    »Herein.«
    Ich trat ein, konnte sie aber nicht sehen.
    »Ich komme gleich«, rief sie aus dem Badezimmer. Ich setzte mich. Kurz darauf kam Maria, frisch geduscht und nur mit einem glitzernden Perlenbikini bekleidet und fragte:
    »Wie gefällt es dir?«
    Ich presste mir die Hand auf die Brust.
    »Da …«, fast hätte ich gerufen:
Da achtet doch niemand mehr auf die Vorstellung!
    Ich schaute aus dem Fenster und dachte:
    Seltsam, wie sehr mich ihre Schönheit immer wieder verblüfft. Es ist, als hätte sie etwas unheimlich Vollkommenes.
    »Es gefällt dir nicht.«
    »Doch, doch, Maria«, sagte ich, ohne sie anzuschauen, »aber ichglaube, mir müssen auch an die Kinder denken. Warte, ich hole das Clownskostüm.«
    Als ich sie in dem Clownskostüm mit der Kugelnase musterte, dachte ich:
    Selbst so besteht die Gefahr, dass die Leute nur sie anschauen. Es liegt auch an der Art, wie sie sich bewegt.
    Ich brachte ihr bei, sich wie ein Clown zu bewegen, nannte ihr ein paar gute Clownssätze und sagte ihr, sie solle die Leute animieren, zur Vorstellung zu kommen und die Aufmerksamkeit auf den
Zirkus der Göttlichen Ordnung
lenken. Sie lernte schnell und war ernst genug, um ein guter Clown zu sein. Nachdem wir eine Zeitlang geübt hatten, konnte ich sagen: »Wir werden verdammt gut sein«, und sogar überzeugt davon klingen.
    Wir gingen in den Speisesaal und bestellten etwas zu essen. Maria war vollkommen ruhig und aß mit gutem Appetit, aber ich brachte nichts herunter.
    Man könnte meinen, sie sei der Profi und nicht ich.
    Gegen zwölf Uhr hatten wir den Wagen auf den Marktplatz gebracht und die Musikanlage eingeschaltet. Kinder kamen angelaufen. Maria sang und spielte für sie, und sie folgten ihr auf Schritt und Tritt. Ich sagte ihr, sie solle zu den Lokalen gehen und die Vorstellung dort ankündigen. Währenddessen ging ich selbst herum, zeigte Zaubertricks und ermunterte die Leute, den
Zirkus der Göttlichen Ordnung
nicht zu verpassen, der bald beginnen würde. Die Lichter auf dem Schrank und die Tierlaute und die Musik in seinem Inneren verbreiteten
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