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Die rote Agenda

Die rote Agenda

Titel: Die rote Agenda
Autoren: Liaty Pisani
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möglich war, dass an einem Ort von solcher Schönheit so viele
schändliche Dinge geschehen konnten. Vielleicht waren die Menschen tatsächlich
zu Parasiten eines Planeten geworden, den sie nicht verdienten.
    Schließlich
fuhren sie auf die Autobahn, die Schönheit der Landschaft lenkte Betta nicht
mehr ab, und sie schlief ein – wegen der Anstrengung, der Hitze, aber auch der
Traurigkeit in ihrem Herzen.
    [380]  Als der
Fahrer sie ansprach, schreckte sie aus dem Schlaf hoch, überzeugt davon, sich
noch in Taormina zu befinden. In Wirklichkeit fuhren sie gerade nach Messina
hinein.
    »Signora,
haben Sie schon ein Hotel reserviert?«, fragte der Taxifahrer.
    »Nein.
Können Sie mir helfen? Ich kann mir vorstellen, dass es wegen der Einweihung
der Brücke nicht einfach ist, ein Zimmer zu finden.«
    »Wenn Sie
in Messina sind, um bei der Einweihung dabei zu sein, sollten Sie es im Royal
Palace versuchen, dann könnten Sie die Zeremonie auch von der Terrasse aus
verfolgen. Vorausgesetzt, das Hotel hat noch Zimmer frei. Auf jeden Fall habe
ich die Nummer, wir können es versuchen.«
    Betta hatte
Glück, eine Suite war noch frei, vielleicht wegen des Preises. Sie beeilte
sich, sie zu buchen, und sagte, sie werde in Kürze im Hotel ankommen.
    Zehn
Minuten später hielt das Taxi vor dem Hotel, einem modernen Gebäude im
pulsierenden Zentrum der Stadt, doch nicht weit vom Meer entfernt. Messina war
festlich geschmückt, die Straßen, durch sie gekommen waren, hatte man mit
Fahnen und Bannern beflaggt, die an Masten und den bedeutendsten Palazzi
flatterten. Via Garibaldi, die Küstenstraße am Hafen, war eine Pracht aus
Blumen und Farben.
    »Viele
Hauptverkehrsachsen sind aus Sicherheitsgründen gesperrt worden, wegen der
berühmten Persönlichkeiten, die heute Nachmittag ankommen«, sagte der
Taxifahrer stolz. »Zum Glück dürfen wir durchfahren, sonst wäre es schwierig!«
    Betta
zahlte für die Fahrt und gab zu dem [381]  ausgehandelten Betrag ein großzügiges
Trinkgeld, dann folgte sie dem livrierten Hoteldiener, der sich beeilt hatte,
ihren Koffer zu nehmen.
    Als sie in
der Suite war, trat sie hinaus auf die Terrasse. Der Taxifahrer hatte recht:
Vor ihr, riesig und beunruhigend, einem gigantischen Urvogel gleich, schlug die
Brücke ihre Klauen in die Insel. Licht, Wasser und Sonne waren die ersten
Worte, die ihr in den Sinn kamen, als sie die beiden in verschiedene Richtungen
strömenden Meere betrachtete.
    Sie nahm
die Broschüre, die man ihr an der Rezeption gegeben hatte, und las. Im Grunde
war sie nach Messina gekommen, um ihrer Wut zu entfliehen, und irgendwie fühlte
sie sich verpflichtet, etwas mehr über diese Stadt zu erfahren, und seien es
auch nur die üblichen Informationen für Touristen.
    Zancle – »Sichel« – hatten die Griechen sie genannt. Eine Stadt mit ruhmreicher
Vergangenheit, doch war sie mehrere Male vollständig zerstört worden, zum
ersten Mal durch das Erdbeben von 1908, zum zweiten Mal durch die schweren
Bombenangriffe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und zum dritten Mal, dachte
Betta, durch die Mafia. Griechen, Araber, Juden, Armenier, Römer und Normannen
hatten sie bewohnt und unschätzbare kulturelle Zeugnisse hinterlassen. Auch die
Kreuzzüge waren hier durchgegangen, denn Messina war der wichtigste Hafen für
die westlichen Heere auf dem Weg ins Heilige Land.
    Auf dem
Meeresgrund lagen viele Wracks, Schiffe der Karthager, Griechen, Römer und der
Kreuzfahrer, und auch die Schiffe, die im letzten Krieg gesunken waren.
    Als Betta
den kleinen Stadtplan ansah, fiel ihr auf, dass [382]  Messina tatsächlich eine
Landzunge einnahm, die einer Sichel ähnelte, majestätisch umrahmt von den Monti
Peloritani und dem Meer, um so jenen weiten natürlichen Hafen zu bilden, der
für Jahrtausende der sicherste Ankerplatz des Mittelmeers war.
    Die Broschüre,
anlässlich der Einweihung der Brücke für uninformierte Leser wie sie
herausgebracht, verbreitete sich über die Sage von Skylla und Charybdis, in der
Odysseus dabei zusehen muss, wie sechs seiner Gefährten von Skylla gefressen
werden.
    Die Straße von
Messina hatte die Form eines umgekehrten Trichters, ihre engste Stelle war drei
Kilometer lang und lag zwischen Capo Peloro auf Sizilien und Torre Cavallo in
Kalabrien; die breiteste trennte Capo d’Alì auf Sizilien und Punta Pellaro in
Kalabrien und führte ins Ionische Meer hinaus. Der Abschnitt, der nach Skylla
und Charybdis benannt war, lag im engen Teil des Trichters und war
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