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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman
Autoren: Sylvia Lott
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diesem Carl Jonas.«
    Julia nickte eingeschüchtert.
    Erneut studierte Hella das Gesicht von Max, der sich selbst vorstellte. Doch dann bugsierte sie ihre Überraschungsgäste energisch durch eine große Diele, an deren Wand das Fell eines Schneeleoparden hing, in die urgemütliche altertümliche Küche.
    Nach Hellas Meinung zeichnete eine gute Lehrerin vor allem eines aus: Sie musste zuhören können, und sie hörte zu. Nachdem sie nun alles vernommen hatte, konnte sie Julia und Max auch nicht mehr sagen, als sie fünf Wochen zuvor bereits Gerda anvertraut hatte. »Es waren die letzten Worte meines Vaters: ›Am Ende hat die Rose von Darjeeling doch nur mir ganz allein gehört.‹ Dass es sich dabei um einen Rhododendron handelt, hab ich erst vor vier oder fünf Wochen durch Gerda erfahren. Und wo er stehen soll, kann ich beim besten Willen nicht sagen.«
    Sichtbar enttäuscht rührte Julia den hell knisternden Kandis in ihrer Teetasse um. »Hier auf Ihrem Grundstück ist er nicht?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Hella unwirsch. »Natürlich wachsen hier auch Rhodos. Aber ich weiß nicht mal, wie dieser Strauch aussehen soll. Das Grundstück ist ja ziemlich eingewachsen, und ich brauch den Rollator. Wie soll ich da durchkommen? Bin ich der Prinz aus Dornröschen? Außerdem«, fügte sie fast trotzig hinzu, »mach ich mir nichts aus Botanik. Mein Vater hat die letzten Jahre im Gebüsch hinten am See gehockt, da, wo es am meisten verwildert ist, und von seinen Heldentaten fantasiert. Das ist nicht meine Welt.«
    »Ich muss jetzt leider gehen, Hein wartet auf mich«, sagte Gerda und verabschiedete sich.
    Julia hoffte, diese Gelegenheit nutzen und endlich in Erfahrung bringen zu können, weshalb die Familien Jonas und ter Fehn so zerstritten waren. Sie blieb sitzen, obwohl ihre überrumpelte Gastgeberin vermutlich erwartete, dass auch sie und Max jetzt aufbrechen würden, und stellte ihre Frage.
    Hella überlegte und schenkte noch eine Runde Tee ein. »Ganz genau weiß ich es auch nicht. Sie waren früher die besten Freunde, sogar Blutsbrüder. Es muss eine sehr traurige Geschichte gewesen sein.« Immer wieder huschte Hellas Blick über Max’ Gesicht. »Und Sie kommen aus England?«
    »Von der Kanalinsel Jersey, genau genommen.«
    »Hm. Wir durften den Namen Jonas nicht in den Mund nehmen, sonst rastete mein Vater aus. Er schimpfte, er habe Carl zweimal das Leben gerettet. Und der habe es ihm schlecht gedankt. Einmal erwog er sogar, ihn wegen übler Nachrede anzuzeigen.«
    »Meine Mutter sagte, Sie hätten als Kind mit meinem Vater und seinen Geschwistern gespielt.«
    Ein melancholisches Lächeln ging über Hellas Gesicht. »Ach, das ist lange her. Nur wenige Male, ich erinnere mich kaum.«
    »Der Tee ist übrigens ausgezeichnet«, lobte Max.
    »Danke. Ein bisschen was bleibt doch hängen. Eine Zeitlang hab ich ja mal nur Kaffee getrunken. Aber ich mag beides. Meine Vorfahren waren schließlich Teehändler.«
    »Ach, wie interessant. Mein Urgroßvater besaß einen Teegarten in Darjeeling.«
    »Nein! Da waren die beiden doch zusammen … lange vor dem Krieg. In Darjeeling.«
    »Wer?«, fragte Julia überrascht. »Mein Großvater und Ihr Vater?«
    »Ja, Carl Jonas und Gustav ter Fehn. 1930 war das. Sein Leben lang hat mein Vater davon gesprochen und bis zuletzt immer wieder davon geträumt, Darjeeling und die Expedition nach Sikkim.«
    »Das ist ja der Wahnsinn!« Julia konnte vor Aufregung kaum noch sitzen. »Das muss doch was zu bedeuten haben. Max, hast du das Foto dabei?«
    »Mist, nein!« Er fasste in seine Jackentasche. »Aber ich hab ein Handyfoto davon gemacht. Augenblick.«
    Er scrollte durch seine Bilddateien und hielt Hella das sepiafarbene Foto von Kathryn auf der Teekiste mit den beiden Männern hin. »Ist der Mann rechts vielleicht Gustav ter Fehn?«
    Hella starrte auf das Foto. Max vergrößerte mit zwei Fingern den Bildausschnitt.
    »Das ist er«, ihre Stimme klang auf einmal brüchig. »Ach, mein Vater in jungen Jahren …«
    »Bitte erzählen Sie uns mehr von ihm«, bat Julia.
    Und Hella erzählte, was sie von ihrem Vater wusste. Sie unterschlug nicht, dass er eine unglückliche Ehe geführt hatte. Dass er begeisterter Bergsteiger gewesen war, aber im Krieg sein Bein verloren hatte. Dass er sich ebenso sehr wie vergeblich einen Sohn und Nachfolger gewünscht und seine Enttäuschung darüber an ihr ausgelassen hatte. »Wir sind uns nie wirklich nahegekommen. Es gab eine Phase, da hatten wir
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