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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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wären wieder Sika spielen gegangen, um Geld, die anderen Wermut trinken, und die dritten »Frische«.
    Eine Zeitlang lief alles großartig: Einmal im Monat schickten wir denen in die Verwaltung eine Liste unserer Zielsetzungen im sozialistischen Wettbewerb und sie uns zweimal im Monat das Gehalt. Wir schrieben zum Beispiel: Aus Anlaß der bevorstehenden Hundertjahrfeier verpflichten wir uns, den Betriebsunfällen ein Ende zu machen. Oder so: Aus Anlaß des glorreichen hundertsten Jahrestages wollen wir durchsetzen, daß jeder sechste am Fernunterricht einer Hochschule teilnimmt... Aber wie hätte es bei uns zu Unfällen kommen sollen (wo wir doch den lieben langen Tag Sika spielten) und auch das mit den Fernkursen war kein Risiko (wir waren ja nur fünf) ...
    O Freiheit und Gleichheit! O Brüderlichkeit und Schmarotzertum! O Wonne, keiner Rechenschaft zu unterliegen! O glückseligste Zeit im Leben meines Volkes — o Zeit zwischen Öffnung und Schließung der Geschäfte!
    Wir legten alle Scham und weitere Sorgen ab und lebten nur noch für geistige Werte. Ich erweiterte ihnen den Horizont so gut ich konnte, und diese Erweiterung machte ihnen großes Vergnügen, besonders dann, wenn es um Israel und die Araber ging. Sie waren restlos begeistert von Israel, von den Arabern und insbesondere von den Golanhöhen. Abba Eban, Moshe Dayan und Ben Gurion wurden Gesprächsthema Nummer eins. Morgens kommen sie von ihren Nutten, und einer fragt den andern: »Na, wie? Die Abba von Zimmer dreizehn, hat sie's dir gegeben hurion?« Und der andere antwortet mit selbstgefälligem Grinsen: »Na klar, hurion, die alte Schnalle.« Und dann (hört zu), als sie erfuhren, wie sich Puschkin den Tod geholt hat, gab ich ihnen den »Nachtigallengarten« zu lesen, ein Poem von Alexander Blok. Im Mittelpunkt dieses Poems steht, wenn man natürlich all die wohlriechenden Schultern, undurchdringlichen Nebel und rosaroten Türme in rauchumsäumten Meßgewändern beiseite läßt, im Mittelpunkt des Poems steht eine lyrische Figur, ein Mann, der wegen Trunksucht, Hurerei und Arbeitsbummelei entlassen wurde. Ich sagte ihnen: »Dieses Buch ist genau das richtige für euch, ihr werdet großen Nutzen daraus ziehen.« Nun, sie lasen es. Aber entgegen allen Erwartungen wurden sie davon nur noch blöder. Gleich darauf war aus allen Geschäften die »Frische« verschwunden. Unverständlich warum, aber vergessen war die Sika, vergessen der Wermut, vergessen der internationale Flughafen Scheremetjewo. Es triumphierte die »Frische«, alle tranken nur noch »Frische«.
    O Sorglosigkeit! O Vögel unter dem Himmel, die nicht säen und nicht ernten! O Lilien auf dem Felde, herrlicher gekleidet denn Salomon! Sie haben die ganze »Frische« ausgetrunken von der Station Dolgoprudnaja bis zum internationalen Flughafen Scheremetjewo!
    Und da ging mir ein Licht auf: du bist ganz einfach ein Nichtsnutz, Wenitschka, du bist ein Vollidiot. Erinnere dich, du hast bei irgendeinem Weisen gelesen, daß Gott der Herr sich nur um das Schicksal der Prinzen sorgt und die Sorge um das Schicksal der Völker den Prinzen überläßt. Aber du bist Brigadier und folglich ein »kleiner Prinz«. Wo bleibt denn deine Sorge um das Schicksal deiner Völker? Hast du denn diesen Parasiten jemals ins Herz gesehen, in die finsteren Winkel ihrer Herzen? Kennst du die Dialektik des Herzens dieser vier Hosenscheißer? Wenn du sie kennen würdest, würdest du klarer sehen, was der »Nachtigallengarten« mit der »Frische« gemeinsam hat, und warum der »Nachtigallengarten« sich weder mit der Sika vertrug, noch mit dem Wermut, mit dem sich Ben Gurion und Abba Eban so wunderbar vertrugen! ... Und da führte ich dann meine berüchtigten »persönlichen Diagramme« ein, deretwegen sie mich letztendlich auch gefeuert haben ...

Nowogirejewo — Reutowo
    Soll ich sagen, was das für Diagramme waren? Nun, das ist ganz einfach: Auf Velinpapier werden mit schwarzer Tusche zwei Achsen aufgemalt — eine horizontale und eine vertikale. Entlang der horizontalen Achse werden systematisch alle Arbeitstage des abgelaufenen Monats eingetragen und entlang der vertikalen das Getrunkene in Gramm, umgerechnet auf reinen Alkohol. Berücksichtigt wird natürlich nur das, was während der Arbeitszeit und davor getrunken wurde, denn das, was abends getrunken wird, ist eine Größe, die für alle mehr oder weniger konstant ist und für eine ernsthafte Untersuchung nicht von Interesse sein kann.
    Also, am Ende des Monats
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