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Die Ratten

Die Ratten

Titel: Die Ratten
Autoren: James Herbert
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kennengelernt hatte, waren die Schüchternheit und die stille Zurückhaltung seines Protégés allmählich verschwunden, und die Kluft, die immer zwischen ihm und anderen Männern gewesen war, hatte sich geschlossen.
    Henry hatte nie herausgefunden, warum sich Francis entschlossen hatte, Vertreter zu werden. Er war nicht der Typ. Guilfoyle konnte sich in der Firma bei jeder Gruppe von Männern behaupten. Er konnte der typische Vertreter sein; die schmutzigen Witze, das vertrauliche Augenzwinkern, das Schulterklopfen, das Professionelle seines Berufs, mit dem er seine unvollkommene Männlichkeit verbarg. Er war ein guter Schauspieler.
    Francis war anders. Es hatte den Anschein, daß ihm seine Homosexualität den Schwung nahm und Schuldgefühle ihm die Stimmung verdarben. Aber er wollte sich selbst beweisen, wollte akzeptiert werden, und deshalb hatte er eine Karriere gewählt, bei der er seine eigene Persönlichkeit vergessen konnte, indem er die von anderen studierte.
    In der dritten Woche übernachteten sie in einem kleinen Hotel in Bradford. Es waren nur Doppelzimmer frei, und so teilten sie eines mit getrennten Betten. Den größten Teil des Nachmittags tranken sie mit einem Kunden und besuchten anschließend mit ihm den örtlichen Strip-Klub. Guilfoyle beobachtete Francis in dem verdunkelten Kellerraum, der sich Klub nannte, weil er eine Bar hatte und Mitgliedsbeitrag bezahlt werden mußte.
    Der Junge schaute die Mädchen an, jedoch nicht begehrlich wie der Kunde - und natürlich Henry Guilfoyle. Und als das letzte winzige Kleidungsstück des Mädchens fiel, tätschelte er unter dem Tisch den Oberschenkel des Jungen mit geübter Herzlichkeit und ließ seine Hand verweilen, nur für einen Moment, jedoch lange genug, bis sich ihre Blicke trafen. Und dann wußte er Bescheid - oh, dieser herrliche Augenblick, in dem er es wirklich wußte.
    Es hatte natürlich nach der ersten Woche Anzeichen gegeben. Guilfoyle hatte kleine Tests gemacht. Nichts Gewagtes, nichts, das auch nur zur geringsten Peinlichkeit führen konnte, wenn er abgewiesen wurde. Aber er hatte recht. Er hatte es gewußt. Das Lächeln des Jungen war nicht überrascht, nicht einmal besorgt und gewiß nicht alarmiert.
    Der Rest des Nachmittags verging wie im Traum. Sein Herz schlug schneller, wenn er den Jungen ansah. Dennoch hielt er sich großartig. Sein vulgärer und übler Kunde schöpfte niemals Verdacht. Sie waren Männer, in einer Männerwelt, die lüstern auf Frauen mit großen Brüsten starrten. Der Junge war natürlich noch ein bißchen grün, doch sie zeigten ihm, wie richtige Männer beim Anblick von nackten Schenkeln und großen Titten reagieren. Guilfoyle trank sein Glas Scotch leer, warf den Kopf zurück und lachte.
    Als sie ins Hotel zurückkehrten - das Hotel, das Guilfoyle aus besonderen Gründen ausgewählt hatte -, war dem Jungen übel. Er war nicht an Alkohol gewöhnt, und Guilfoyle hatte ihm den ganzen Nachmittag Whisky aufgedrängt. Jetzt bedauerte er das. Vielleicht hatte er es übertrieben. Francis mußte sich auf der Fahrt vom Klub zum Hotel im Taxi übergeben, und dann noch einmal ins Waschbecken ihres Hotelzimmers. Guilfoyle bestellte Kaffee und flößte dem fast bewußtlosen Jungen drei Tassen davon ein. Jackett und Hemd des Jungen zeigten deutliche Spuren von Erbrochenem, und Guilfoyle zog ihm sanft die Sachen aus und wusch die schlimmsten Stellen mit heißem Wasser aus.
    Dann begann Francis zu weinen.
    Er saß auf seinem Bett, stützte den Kopf in die Hände, und seine blassen Schultern bebten krampfhaft. Eine blonde Locke fiel über seine langen, dünnen Finger. Guilfoyle setzte sich neben den Jungen und legte ihm den Arm um die Schulter. Der Junge schmiegte den Kopf an Guilfoyles Brust, und dann wiegte er ihn in den Armen.
    So verharrten sie lange Zeit, der ältere Mann wiegte den jüngeren wie einen Fünfjährigen, bis das Schluchzen in ein gelegentliches Wimmern überging.
    Guilfoyle zog Francis langsam aus und legte ihn ins Bett. Er betrachtete ihn eine Zeitlang und entkleidete sich dann ebenfalls. Er legte sich neben dem nackten Jungen ins Bett und schloß die Augen.
    Diese Nacht würde Guilfoyle niemals vergessen. Sie liebten sich, und der Junge überraschte ihn; er war nicht so unschuldig, wie er gewirkt hatte. Dennoch verliebte sich Guilfoyle in ihn. Er kannte die Gefahren. Er hörte die Geschichten von Verhältnissen zwischen Männern in mittlerem Alter und Jungen und wußte, wie anfällig solche Beziehungen sind.
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