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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens
Autoren: Jay Lake
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Premierminister. »Wir sind beide keine Dummköpfe. Wir wären beide schon längst zur Seite gedrängt oder dem Tod überlassen worden, wenn wir das wären. Ich habe gute und ehrliche Männer in dieser Expedition, die ganz offiziell und nicht so offiziell teilnehmen. Aber sie haben alle ihre Befehle, auf die eine oder andere Art. Sie, Sir …« Er atmete tief durch. »Sie haben an einem Ort überlebt, wo die meisten Männer spurlos verschwunden sind. Genau wie Ihr Vater damals, wie es scheint. Das ist eine ganz besondere Eigenschaft. Eine, die wahrscheinlich nicht zu einem Übermaß an Gehorsamkeit passt.«
    Al-Wazir kam zur Sache. »Sie sind sich also nicht sicher, dass diese Expedition erfolgreich sein wird?«
    »Nein. Das bin ich nicht.« Lloyd George wandte sich der Karte zu. »Ich hielte es nicht für angebracht oder auch nur möglich, hier von Gewissheit zu sprechen, unabhängig von dem Unsinn, den wir den Zeitungen erzählen. Wir befinden uns auf einer Jagd, Bootsmann. Der Jagd . Wir wollen untersuchen, wie wir einen Tunnel durch die Mauer graben können, um die Chinesen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Denn ob ich oder Sie jemals von Chersonesus Aurea gehört haben, ist völlig irrelevant. Der Himmlische Kaiser hat es aber.«
    »Sie suchen nach einem Weg über die Mauer?«, fragte al-Wazir. Da könnte man genauso gut nach einem Weg zum Mond suchen. Es gab natürlich immer irgendwelche Schauergeschichten – der verloren gegangene Navigator der Bassett , Malgus, hatte selbst Anteil an diesen Dingen gehabt, und auch sein armer, todgeweihter Junge, Hethor –, aber es war eine andere Sache, ob ein mutiger Held Gottes Schutzwall wirklich erkletterte und auf die Königreiche der Südlichen Welt hinabblickte. Es war eine ganz andere Sache, wenn die Schlitzaugen genau dasselbe taten, mit ihren Zauberern und Priestern und Kulis und den endlosen Marschkolonnen gelber Soldaten unter ihren Himmelsstandarten.
    Al-Wazir war entsetzt über diese Vorstellung.
    Lloyd George räusperte sich. »Unserer Ansicht nach will er durch die Mauer. Was wir nicht erlauben können. Sollte China in der Südlichen Welt einen Fuß in die Tür bekommen, ohne dabei von Ihrer Kaiserlichen Majestät gehindert zu werden, dann wird es mit unserer Weltmachtstellung vorbei sein. Es gibt keinen höheren Einsatz.«
    »Ihre Kaiserliche Majestät entsendet eine wissenschaftliche und technische Expedition unter der Leitung eines Ihrer deutschen Untertanen, dem Ingenieur Lothar Ottweill. Herr Professor Doktor Ottweill hat den Befehl über diese Mission. Ich hoffe, dass Sie die Verantwortung übernehmen werden, für ihr Überleben zu sorgen. Eintausend Mann oder mehr sind nichts im Vergleich zum mächtigen Konzept der Mauer.«
    Die Mauer. Er hatte sie gehasst, sich vor ihr gefürchtet, auf ihr gelebt, war von ihr geflohen. Sie hatte seinem Vater vor vielen Jahren den Verstand geraubt. Der alte Mann war nach seiner Rückkehr nicht mehr derselbe. Sie hatte al-Wazirs Schiff und die meisten seiner Freunde und Kameraden verschlungen.
    Sie war vermutlich das Einzige, abgesehen von dem Gedanken, endlich wieder auf einem Luftschiff dienen zu dürfen, das ihn wieder lebendig machen konnte.
    Al-Wazir beugte sein Knie. »Sir«, sagte er und rang nach Worten. »Dafür werde ich Ihr Mann sein und darüber hinaus.«
    »Stehen Sie auf.« Die Szene war dem Premierminister offensichtlich unangenehm. Es war fast so, als ob sie sich allein in diesem Raum der Karten und des Geflüsters befänden. »Mr Kitchens wird sich um Sie kümmern. Sie müssen viel über Professor Ottweill und seine Expedition lernen, bevor Sie uns verlassen. Meines Wissens nach reisen Sie in weniger als einer Woche ab.«
    Al-Wazir stand auf. Kitchens stand zu seiner Überraschung direkt neben ihm. Diese Männer in ihren dunklen Anzügen waren der wahre Antrieb des Empires, nicht die laut brüllenden Esel im Unterhaus oder die prunkvollen Lords in ihrer standesgemäßen Kleidung.
    Er versuchte, sich mit diesem Gedanken zu trösten, während er ohne ein Wort des Abschieds vom Premierminister weggeführt wurde.
    Childress
    Bibliothekarin Childress saß an ihrem Stehpult in der Day Missions-Bibliothek in der Berkeley Theologie-Fakultät der Yale University. Ihre Fersen befanden sich 23,5 Zentimeter über dem Boden, wenn sie hier auf ihrem Stuhl saß. Aus dieser Höhe war es ihr möglich, auf praktisch alle Studenten in Yale hinabzusehen. Was wiederum dabei half, ihre schlechtesten Eigenschaften in
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