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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens
Autoren: Jay Lake
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bleichgesichtiger Oberleutnant mit einem Trupp Marineinfanteristen in vernünftigen Wollklamotten hatte ihn recht entschlossen in Pemberton aus dem Zug geholt. Diesmal war es keine Verhaftung, nicht wie damals, als ihre Dau schließlich unter dem Gejohle der Hafenratten in Bristol anlegte. Stattdessen hatte man ihn in einen Erste-Klasse-Waggon gesetzt, in dem außer ihm und seiner Eskorte niemand saß.
    Das war ihm recht gewesen. Al-Wazir hatte sich nicht wirklich darauf gefreut, seine Mutter wiederzusehen. Außerdem hatte er nicht den geringsten Plan, was er ohne Uniform als Nächstes tun sollte. Al-Wazir hatte eigentlich damit gerechnet, in der Luft zu sterben, aber als die Bassett unter dem Ansturm der Bestien und bei schlechtem Wetter zu Boden gegangen war, hatte der allmächtige Gott entschieden, ihn nicht gleichsam mit dem Schiff zu sich zu nehmen.
    Also war er jetzt hier, gewaschen, rasiert, gebügelt und in diesen schwarzen Anzug gequetscht, auf einer kleinen Bank in einem Raum sitzend, in dem vor einer Stunde Premierminister Lloyd George an ihm vorbeigegangen war.
    Du wirst es mal schaffen, hatte seine Mutter immer gesagt, und wirst es besser haben als ich. Sie hatte sich das vermutlich anders vorgestellt.
    Al-Wazir schreckte auf, als sich die Türflügel knarzend öffneten. Ein schweigsamer, kleiner Mann in einem Anzug, der dem al-Wazirs ähnelte, nickte ihm zu.
    Die Marineinfanteristen blieben ein Paar schweigende Holzköpfe. Es fühlte sich wie damals an, wenn er wegen des Unsinns irgendwelcher fauler Kerle aus der Reeperdivision vor den Kapitän zitiert wurde, nur, weil er gerade mal nicht aufgepasst hatte. Die Admiralität und selbst der Premierminister waren einfach nur größere Kapitäne.
    Also folgte er dem schweigsamen Mann in einen sehr großen Raum, in dem ältere, gesetztere Männer mit beachtlichen Koteletten und roten Gesichtern um einen Tisch versammelt saßen, der die Größe eines Beiboots hatte, und auf eine verdammt riesige Karte starrten, auf der einige Inseln verzeichnet waren. Al-Wazir war ganz bestimmt noch nie dort gewesen; da war er sich sicher. Er nahm die ausdruckslose, in die Leere starrende Miene an, die Seeleute in der Anwesenheit von Offizieren aufzusetzen pflegen, seitdem die ersten Schilfboote auf den Euphrat hinausruderten.
    Sein Begleiter verschwand zwischen anderen Männern, die sich ebenso wie er Notizen machten und durch rote Ordner blätterten, die an den dunklen Rändern des Raums standen. Es gab hier keine Fenster, nur im Vorzimmer, auch wenn einige mit Reif bedeckte Oberlichter den Raum mit einem finsteren Grau erhellten. Abgesehen davon spendeten electrisch betriebene Wandleuchter Licht, was die Luft leicht verbrannt riechen ließ. Wo früher vielleicht weitere Gemälde die Geschichte der Flotte dokumentiert hatten, hingen nun See- und Landkarten. Al-Wazir würde sich lieber auf die Zunge beißen, als sie anzustarren.
    Hektisch. Es war sehr hektisch in diesem Raum. Auf eine nicht nachvollziehbare Weise erinnerte er ihn an ein Kanonendeck kurz vor der Schlacht. Die Männer schwitzten, und es herrschte eine angespannte Stimmung. Bloß weil hier keine Kanonen zu sehen waren, hieß das nicht, dass der Feind nicht vor der Tür stand.
    »Bootsmann al-Wazir.« Er wurde von einem Mann mit vollem Gesicht und einem belustigten Funkeln in den Augen angesprochen. Er trug wie alle anderen Schwarz. Tatsächlich handelte es sich um den Premierminister – Lloyd George in Person.
    »Sir, ja, Sir.«
    »Der Mann mit dem interessanten Namen. Sie wirken auf mich genauso schottisch wie jeder andere Mann aus Lanarkshire. Zum Frühstück gibt es immer noch Haferflocken?« Der walisische Akzent in Lloyd Georges Stimme war kaum noch zu hören, aber der besondere Humor war immer noch deutlich. »Wenn es ihnen hilft, sollten sie mich einfach als Parlamentsmitglied aus Caernarfon ansehen. Was die anwesenden Gentlemen hier betrifft, so sind sie lediglich Personen, die sich dem Interesse der Krone verschrieben haben. Ihre Namen und Titel sollten für Sie ohne Belang sein.«
    »Sir, nein, Sir.« Dennoch fragte er sich, warum ein Raum voll älterer Männer mitten im Hauptgebäude der Admiralität so wenig Anzeichen von Uniformen aufwies. Das traf auch auf ihn zu.
    »Sagen Sie mir, Bootsmann …« Lloyd Georges Augen funkelten. »Haben Sie jemals von Chersonesus Aurea gehört?«
    Von all den Fragen, die der Premierminister Ihrer Kaiserlichen Majestät ihm hatte stellen mögen, war dies vermutlich
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