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Die Rache der Jagerin

Die Rache der Jagerin

Titel: Die Rache der Jagerin
Autoren: Kelly Medling
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Bisswunde an der Schulter waren bereits nur noch reine Zahnabdrücke übrig, und ich spürte sie nicht mehr. Die restlichen Kratzer und blauen Flecken, die ich in den Kämpfen gegen Kelsa und Tovin abbekommen hatte, waren nicht mehr zu sehen. Meinen linken Unterarm schrubbte ich besonders anhaltend, als könnte ich damit die Erinnerung an Chalices Selbstmord ausradieren. Doch das einzige Resultat davon war, dass meine Haut wund und rosa leuchtete.
    Schließlich hatte ich mich komplett abgeduscht. Zügig trocknete ich mich ab, zog saubere Jeans und ein schwarzes Babydoll-Shirt an – eines der wenigen dunklen Kleidungsstücke in Chalices Garderobe. Als ich im Waschtischunterschrank nach einem Haargummi kramte, schlossen sich meine Finger um eine Schere. Ich zog sie heraus und betrachtete sie im Licht der Deckenbeleuchtung.
    Ich mochte kurze Haare und hatte meine nie über die Schulter hinauswachsen lassen. Damit hatte man weniger Scherereien beim Frisieren, und eventuelle Feinde hatten eine Möglichkeit weniger, um einen zu packen. In dem beschlagenen Spiegel sah ich, dass mir das feuchte, schwere und dichte Haar fast bis zur Hüfte herabfiel. Es abzuschneiden würde eine wahre Freude sein. Es würde eine Last von mir nehmen, und ich würde mir wieder mehr wie ich selbst vorkommen.
    Aber ich war nicht mehr ich selbst. Die dünne, blonde Evy trug ihr Haar kurz und mochte schwarze Klamotten. Doch dieses neue Ich, das aus zwei sehr eigenwilligen Persönlichkeiten und einer Teleportationsgabe zusammengesetzt war, wehrte sich dagegen. Diese Frau hatte lange braune Haare, vollere Hüften und trug bunte Kleider. Abgesehen von der Geschichte mit dem Selbstmord war sie mir sympathisch.
    Darum verstaute ich die Schere wieder in dem Schränkchen. Ich fand zwei Stäbchen, mit denen ich das nasse Haar hochsteckte, damit es mir nicht über den Nacken wallte. Dann schnallte ich mir das Messer wieder ums Fußgelenk, denn die vertraute Waffe zu spüren beruhigte mich. Ich war nun wieder vorzeigbar. Nachdem ich das Handy in meine Gesäßtasche geschoben hatte, verließ ich das Badezimmer, begleitet von einer ordentlichen Dampfwolke.
    Sogleich empfing mich der herbe Geruch von starkem Kaffee, und ich hielt kurz inne, um den schweren Duft zu inhalieren. Zwar hätte ich lieber geschlafen, als mir eine Dosis Koffein zu verabreichen, aber da Phin mit uns sprechen musste, war es das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Für das Gespräch musste ich schließlich wach sein. Allerdings war der fragliche Kauzling nirgends zu entdecken – was mich sehr beunruhigt hätte, wenn meine Aufmerksamkeit nicht sofort auf den Esszimmerboden gelenkt worden wäre.
    Die Scherben und Holzsplitter waren verschwunden, und der elfenbeinfarbene Teppich wies keine Blutflecken mehr auf, auch wenn er an manchen Stellen noch etwas dunkler war als an anderen. Die zerbrochene Balkontür war mit zwei weißen Müllsäcken abgedichtet worden, die mit Klebeband am Rahmen befestigt waren. Alle anderen Hinweise auf den Kampf mit Tully und Wormer waren verschwunden.
    In der Küche ertönte das Klappern einer Schranktür, und Wyatt tauchte hinter dem Küchentresen auf. In der einen Hand hielt er eine Bratpfanne, in der anderen einen Topfdeckel.
    »Seit wann bist du denn so häuslich?«, fragte ich ihn und deutete mit einer wedelnden Bewegung auf den Teppichboden.
    »Dafür musst du dich bei Phineas bedanken«, erwiderte Wyatt. »Er hat alles aufgefegt, die Blutflecken herausgebürstet und den Müll weggebracht. Er hat sogar ein paar verdorbene Lebensmittel aus dem Kühlschrank aussortiert.«
    Ich lachte und ging über den feuchten Teppich zum Tresen hinüber. »Ein Kauzling mit einem Putzfimmel. Wer hätte das gedacht? Du hast nicht zufällig irgendwelche Schlüssel herumliegen sehen?«
    »Nein, tut mir leid.«
    Verdammt. »Möglich, dass die Triaden sie eingesteckt haben, als sie Tully und Wormer befreit haben.« Der Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht.
    Wyatt stellte die Pfanne auf den Herd und fing dann an, im Kühlschrank herumzustöbern.
    »Was kochst du?«, fragte ich.
    »Ich dachte an Steaks und Eier«, gab er zur Antwort. Seine Stimme drang gedämpft hinter der Schranktür hervor, die mit Magneten übersät war. Die Kühlschrankmagnete hatten die Form von verschiedenen amerikanischen Bundesstaaten und waren wie auf der Landkarte angeordnet, so gut es eben ging. Es befanden sich viele Staaten aus dem Süden und noch mehr aus dem Nordosten darunter. Ich fragte mich,
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