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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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Gäste. Automatisch steuerte sie einen der anderen freien Fenstertische an, hielt dann aber inne und ging zum Tresen. Sie kletterte auf einen der hohen Hocker, mit dem Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, ein Tabu zu brechen. Es war halb eins, sie saß in der Gebetshausstadt am Tresen, sie beschloss, den Wagen stehen zu lassen, und bat um einen trockenen Sherry.
    Der Barmann lächelte sie an. Seine Haare waren dunkel gefärbt, mit einem Stich lila, und über seinem wohlgeformten Kopf nach hinten gestrichen. Am linken Ohr baumelte ein Ohrring der alten Sorte, das Ohrläppchen selber war unversehrt. »Eine gute Entscheidung, meine Liebe.« Er senkte die Stimme und nickte diskret zu den beiden Männern am Fenstertisch hinüber. »Mit dem Kaffee hier im Haus könnte man Nilpferde umbringen. Ich habe sie gewarnt, aber sie wollten nicht hören. So sind Jungs eben. Flirten gern mit dem Risiko. Sie wollten nicht einmal Sahne. Ja, ja. Gut, dass auf der Herrentoilette kein Gedränge herrscht.« Er zog die grüne Flasche aus einem Fach über dem Tresen und stellte ein Glas auf die Messingplatte. »Was zum Knabbern?«
    »Nein, danke.« Sie lächelte.
    Als ihr Glas gefüllt wurde, fragte sie: »Läuft hier abends irgendwas?«
    Er lehnte sich mit der Hüfte ans Spülbecken und fischte eine Prince aus der Packung in seiner Brusttasche.
    »Was heißt schon, laufen … doch, es gibt eine gewisse Bewegung.« Er gab ihr mit einem altmodischen Ronson Feuer. »Aber dann gibt es ja auch noch das, was Lebensqualität genannt wird. Und die wirst du hier nicht finden.«
    »Und wo finde ich sie dann?«
    »Qualität?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Stil.«
    »Na ja. Die Frage ist doch, ob dieser Laden hier nicht das Anständigste in der ganzen Stadt ist. Jedenfalls nach zwölf. Aber es fehlt noch ganz schön viel, das kann ich dir sagen. Wir haben hier im Haus zwar keine rumänische Tanzkapelle, aber einige unserer Stammgäste würden sich sicher sehr darüber freuen. Wenn du Sinn für übergewichtige Gebrauchtwagen-händler mit gelben Schweißringen unter den Armen hast, dann schau am Freitagabend mal rein!«
    Sie nickte. »Ich hab schon verstanden, dass du hier am Umsatz nicht beteiligt bist.«
    Er zwinkerte ihr zu und ging dann zum Telefon, das am anderen Tresenende losfiepte. »Das wäre auch keine gute Idee, glaube ich.«
    Sie überflog die Zeitung. Ein Neunzehnjähriger hatte draußen im Fjord einen Heilbutt von fast neunzig Kilo erwischt. Nach den starken Regenfällen der vergangenen Wochen war ein Teil der Küstenstraße eingebrochen. Die Diskussion über die Eingemeindung lief auf vollen Touren. Auf der Anzeigenseite, im Schatten von Bratwürsten, Apfelsinen und der lokalen Colavariante fand sie »Bauunternehmen Holand & Malmstrøm AS.« Strandgate 3. Zwei Telefonnummern. Fax. Sie faltete die Zeitung ordentlich zusammen und steckte sie zu Stadtplan und Briefumschlägen in die Einkaufstüte. Sie griff nach der Getränkekarte und legte das Geld auf den Tresen, dann ging sie. Er winkte ihr mit der rauchenden Zigarette zu, als sie sich in der Tür umdrehte.
    Die Strandgate 3 war ein architektonisches Missgeschick aus der Mitte der sechziger Jahre. Ein dreistöckiges Betongebäude, belegt mit verschossenen Eternitplatten in Grün und Blau. Ein grobes Mosaik schmückte die Eingangspartie, sozialrealistische Darstellungen von Fischern und Industriearbeitern im Einsatz. Die Bilder erinnerten an die Graphikdrucke, die in ihrer Volksschulzeit in den Klassenzimmern gehangen hatten. Kunst für die heranwachsende Generation. Gruß, die sozialdemo-kratische Regierung.
    Die Firma hatte sich im ersten Stock angesiedelt. Im Erdgeschoss befanden sich eine Bankfiliale, ein Herrenausstatter und die Löwenapotheke. Im zweiten trieben zwei Zahnärzte und ein Orthopäde ihr Unwesen. Bauunternehmen Ho-land & Malmstrøm teilte sich die Etage mit »BÜRORÄUME ZU VERMIETEN«.
    Sie betrat den Löwen und kaufte eine Packung mit zwölf Paar Gummihandschuhen. Als sie wieder auf der Straße stand, beschloss sie, das wilde Leben fortzusetzen und doch den Wagen zu nehmen.
    Nach dem Essen richtete sie sich im Wohnzimmer im ersten Stock ein Büro ein. So viel Platz war ein Luxus, sie schob den großen Esstisch ans Fenster, sie schmückte die Wände mit Bildern aus den unteren Wohnzimmern. Den abgenutzten Ledersessel konnte sie mit großer Mühe die Treppen hochschleppen und vor den Kamin stellen. Jetzt hatte sie alles auf einer Ebene, abgesehen von der Küche. Alles
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