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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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im scharfen Licht besonders verschossen, und als die Puppe an ihrer Schnur hin und her schwenkte, tanzte der Schatten lustig über Wände und Boden.

4
    Sie nahm die Küstenstraße. Das Meer lag schwarz und tot auf ihrer rechten Seite, und wieder fiel Schneeregen. Die Fahrbahn war glatt und unangenehm. Es war kurz nach elf, das Lokalradio füllte den Wagen mit Rock und Schnickschnack. Sie dachte an Leo. Sie dachte, dass er dort bleiben sollte, wo er war, bis auf Weiteres jedenfalls. Sie ärgerte sich, dass sie die Telefonrechnung auf dem Armaturenbrett vergessen hatte; er gehörte zu denen, die sich Einzelheiten einprägten. Ihre Nummer. Ihren Namen. Vermutlich auch ihre Adresse in Oslo. Keine Klette, hatte er gesagt. Aber darauf konnte sie sich nicht verlassen. Wenn er dichter an sie herankroch, würde sie überlegen müssen, wozu sie ihn brauchen könnte.
    Sie erreichte die Stelle, an der die Straße eingestürzt war. Gemeindearbeiter. Selbstleuchtende orange Westen, rotierende Lampen auf Lastwagen und Bulldozern. Die übliche Bande aus den Witzen über Gemeindeangestellte, vier Männer, die herumstanden, rauchten und ins Leere starrten. Sie wurde am Unglücksort vorbeigewinkt, über eine schmale provisorisch aufgeschüttete Fahrbahn. Sie hatte das Gefühl, ins Meer zu fahren, und ohne es zu wollen, hielt sie den Atem an, bis sie den feuchten Asphalt auf der anderen Seite erreicht hatte. Hundert Meter dahinter bog sie nach rechts ab, in Richtung Nybyen. Als sie beim Stjernesti angekommen war, drosselte sie ihr Tempo, jedoch nicht so, dass es auffällig gewirkt hätte. Spielende Kinder. Wir können keins entbehren. Hier waren jetzt keine Kinder, aber sie dachte trotzdem, »wir können keins entbehren«. Dass niemand jemanden entbehren kann. Die leuchtenden Fenster glitten auf beiden Seiten vorüber. Ein Mann stand in einer Küche am Herd. Eine junge Frau mit einem Kind in einem Wohnzimmerfenster, sie schauten auf den dunklen Fjord hinaus, vielleicht aber auch auf die rotierenden Lichter der gemeindeeigenen Fahrzeuge. Rebekka gefiel diese dichte Besiedlung. Die Menge von Häusern auf einem verhältnismäßig kleinen Gelände. Hier sprachen die Leute über den Gartenzaun miteinander. Hier würde das Feuer sich rasch ausbreiten.
    Stjernestien 37 war ein ziemlich kleines Einfamilienhaus, errichtet, nachdem die großen Aussichtsfenster und die geschmacklosen Veranden aus der Mode gekommen waren. Fertighaus, Typ »alte Südküste«, Giebel und in kleine Flächen unterteilte Fenster. Das Haus war in einem warmen Rotton gestrichen, das sah sie, als das Licht der Fahrzeuge über die Wand streifte, als sie eben um die Kurve bog. Sie fuhr weiter und die rote Farbe zerfloss wieder im Schwarzen. Im Erdgeschoss brannte Licht. Ein weiches gelbes Licht, vielleicht der Widerschein eines Kamins. In der Auffahrt stand der rote Toyota, dessen Nummer sie schon längst auswendig kannte, achtlos schräg vor den unterschiedlich gefärbten Mülltonnen. Sie schaltete herunter und fragte sich, ob er den Müll wohl sorgfältig sortierte oder ob er das alles ihr überließ. Sie war auf seine neue Frau neugierig, neugierig darauf, wer sie war, wie viel sie über den Mann wusste, mit dem sie jetzt ein Kind gezeugt hatte. Bisher wusste Rebekka nicht viel mehr, als dass diese Frau Nina hieß und auch in dieser neuen Beziehung ihren eigenen Namen behalten hatte. Granum, hieß sie. Nina Granum. Sie war jung. Noch keine dreißig. Jung genug, um anderswo einen neuen Anfang zu machen, falls ihr das zu irgendeinem Zeitpunkt verlockend vorkommen sollte. Der Boden wurde steiler, sie fuhr an den höchstgelegenen Häusern vorbei und erreichte die neue Sporthalle und den Parkplatz. Die Luft schlug ihr kalt und feucht ins Gesicht, als sie bald darauf den halb verwischten Pfad zum Aussichtspunkt einschlug. Hier unten war kein Mensch. Nur die leere Bank, die in die Felswand eingegossen war, um zu verhindern, dass das Wetter oder vielleicht betrunkene Jugendliche sie den Hang hinunterwarfen. Die Bank hatte dort gestanden, so weit Rebekka sich zurückerinnern konnte. Sie gehörte zu ihrer Kindheit. Der Großvater hatte in die andere Richtung geschaut, als sie ihre Initialen in das feuchte Holz geschnitzt hatte. Sie setzte sich. An klaren Tagen konnte man von hier aus bis zum Leuchtturm blicken. Jetzt sorgte das dichte Schneegestöber dafür, dass sie mit Mühe die grünblauen Lichter unten am Anleger sah. Sie mochte dieses Wetter. Es spann sie in einen sicheren
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