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Die Prophetin vom Rhein

Titel: Die Prophetin vom Rhein
Autoren: Brigitte Riebe
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genau sagen«, antwortete sie. »Denn sie spricht direkt mit dem göttlichen Licht und hat in allem ihren ganz eigenen Kopf. Seid ihr denn wirklich Verwandte von Richardis? Das würde es vielleicht ein wenig leichter machen.«
    »Richardis ist zu uns so eine Art Base«, murmelte Theresa. »Getroffen hab ich sie allerdings noch nie. Sie war schon im Kloster, als ich zur Welt kam, aber ich weiß, dass Mutter und sie sich ab und zu geschrieben haben.«

    »Eure werte Base ist aber nicht mehr hier.« Das klang fast triumphierend und kam von Magota, die für die Kleiderkammer zuständig war und alle anderen Schwestern ein gutes Stück überragte. Ihr knochiges Gesicht glich einem Totenschädel, in dem nur die grünlichen Augen lebendig wirkten. »Schon vor Monaten hat sie uns verlassen. Richardis ist jetzt nämlich selber Äbtissin geworden. In Bassum, hoch im Norden. Durch ihren Bruder, Erzbischof Hartwig von Bremen. Seitdem geht es endlich wieder gerechter zu auf unserem schönen Rupertsberg. Sollte sie etwa vergessen haben, euch das zu schreiben?«
    Benigna trat ihr unauffällig auf den Fuß, und Magota verstummte, funkelte allerdings erbost zurück. Irritiert schaute Theresa von einer zur anderen. Bislang hatte sie Nonnen stets für entrückte, mehr oder minder körperlose Wesen gehalten, die den ganzen Tag beteten und sangen. Zwischen diesen Frauen jedoch schwelte ein Zwist, der ihr äußerst irdisch vorkam.
    Sie schloss die Augen, um sich davor zu schützen, und spürte plötzlich wieder Willems Wärme. Noch immer war er ihr gegenwärtig, und sie hörte seine Stimme in ihrem Kopf.
    »Ich möchte lieber mit Euch reiten. Bitte!« Hatte sie das wirklich gesagt?
    »Wenn du unbedingt willst.« Sein Lachen, das ihr noch immer das Herz wärmte, wenn sie daran dachte!
    Er hatte zu Theresas Überraschung trotz der wütenden Blicke seines Onkels und dem entsetzten Gesichtsausdruck der Mutter ihrem Wunsch sofort entsprochen. Sie saß dann vor ihm, den Rücken an seiner Brust, beiderseits von seinen Armen gehalten, die die Zügel sicher führten. Ob es ihm gefallen hatte, vermochte Theresa nicht zu sagen. Sie aber hätte trotz des erneut einsetzenden Regens
stundenlang so weiterreiten können - sogar bis in alle Ewigkeit, wie sie sehnsüchtig dachte. Warum konnte sie jetzt nicht bei Willem sein, in einem schönen Haus, das sicherlich sein Heim war, vor einem prasselnden Feuer, anstatt sich bei diesen zänkischen Weibern in ihren schwarzen Kutten lieb Kind machen zu müssen?
    »Du schläfst ja schon halb im Sitzen«, hörte sie die rundliche Benigna sagen. »Komm, ich bring euch zu eurem Lager …«
    »Nicht nötig.« Das war die Nonne mit dem schmalen Kopf, die sich in alles einmischte, wie Theresa bereits herausgefunden hatte. Vor Ungeduld wippend, stand Schwester Hedwig in der Tür. »Clementia, wir brauchen sofort einen großen Krug heißen Salbeitee, damit sie uns nicht alle noch krank werden. Und Gunta soll nachsehen, ob wir noch etwas von den Dinkelkeksen übrig haben. Ihr zwei kommt mit mir. Eure Mutter erwartet euch schon.«
    Theresa konnte den Fluss hören, als sie wenig später hinter Hedwig ins Freie trat. Sie war auf Böen und Regengüsse gefasst gewesen, aber es war draußen zu ihrer Überraschung trocken, und es schien sogar wärmer geworden zu sein. Hinter schnell ziehenden Wolken zeigte sich ab und zu ein milchiger Vollmond. Schweigend gingen sie den Kreuzgang entlang, und die strenge, schlichte Schönheit der Säulenreihe tat dem Mädchen gut. Das Kirchenschiff an der Längsseite dagegen steckte offenbar noch im Rohbau. Überall Karren, Bretter, Sandhaufen und mehr oder minder sorgfältig aufgeschichtete Steine.
    »Ihr lebt wohl noch nicht besonders lang hier«, sagte Theresa, während sie sich bemühte, auf nichts zu treten, was sie hätte zu Fall bringen können. »Das wirkt alles noch so … unfertig. Oder ist euch vielleicht mittendrin das Geld ausgegangen?«

    Hedwig blieb stehen. »Kluges, kleines Ding«, sagte sie. »Und scharfe Augen hat sie auch. Wie kommst du darauf, Theresa?«
    »Weil es so aussieht, als hätten die Bauleute einfach alles stehen und liegen lassen. Genau wie auf unserer Burg, als mein Vater nach zwei kümmerlichen Ernten nichts mehr besessen hat, um den neuen Turm zu bezahlen, und die Männer sich geweigert haben, auch nur noch einen einzigen Handstreich zu verrichten.«
    »Dabei haben wir schon so vieles erreicht! Den Berghang mit einer Mauer zur Nahe hin abgestützt, Küche und
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