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Die Physiker

Die Physiker

Titel: Die Physiker
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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stampft auf den Boden.
    INSPEKTOR: »Ich warte! Auf die Chefärztin!«
    BLOCHER: »Jawohl, Herr Inspektor.«
    Der Inspektor beruhigt sich, brummt.
    INSPEKTOR: »Fahr mit der Mannschaft in die Stadt zurück, Blocher. Ich komme dann nach.«
    BLOCHER: »Zu Befehl, Herr Inspektor. Ab.«
    Der Inspektor pafft vor sich hin, erhebt sich, stapft trotzig im Salon herum, bleibt vor dem Porträt über dem Kamin stehen, betrachtet es. Inzwischen hat das Geigen- und Klavierspiel aufgehört. Die Türe von Zimmer Nummer 2 öffnet sich, und Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd kommt heraus. Bucklig, etwa fünfundfünfzig, weißer Ärztemantel, Stethoskop.
    FRL. DOKTOR: »Mein Vater, Geheimrat August von Zahnd. Er hauste in dieser Villa, bevor ich sie in ein Sanatorium umwandelte. Ein großer Mann, ein wahrer Mensch. Ich bin sein einziges Kind. Er haßte mich wie die Pest, er haßte überhaupt
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    alle Menschen wie die Pest. Wohl mit Recht, als Wirtschaftsführer taten sich ihm menschliche Abgründe auf, die uns Psychiatern auf ewig verschlossen sind. Wir Irrenärzte bleiben nun einmal hoffnungslos romantische Philanthropen.«
    INSPEKTOR: »Vor drei Monaten hing ein anderes Porträt hier.«
    FRL. DOKTOR: »Mein Onkel, der Politiker. Kanzler Joachim von Zahnd.« Sie legt die Partitur auf das Tischchen vor dem Sofa. »So. Ernesti hat sich beruhigt. Er warf sich aufs Bett und schlief ein. Wie ein glücklicher Bub. Ich kann wieder aufatmen.
    Ich befürchtete schon, er geige noch die Dritte Brahms-Sonate.«
    Sie setzt sich auf den Sessel links vom Sofa.
    INSPEKTOR: »Entschuldigen Sie, Fräulein Doktor von Zahnd, daß ich hier verbotenerweise rauche, aber – «
    FRL. DOKTOR: »Rauchen Sie nur ruhig, Inspektor. Ich benötige auch dringend eine Zigarette, Oberschwester Marta hin oder her. Geben Sie mir Feuer.«
    Er gibt ihr Feuer, sie raucht.
    FRL. DOKTOR: »Scheußlich. Die arme Schwester Irene. Ein blitzsauberes junges Ding. « Sie bemerkt das Glas. »Newton ?«
    INSPEKTOR: »Ich hatte das Vergnügen.«
    FRL. DOKTOR: »Ich räume das Glas besser ab.«
    Der Inspektor kommt ihr zuvor und stellt das Glas hinter das Kamingitter.
    FRL. DOKTOR: »Wegen der Oberschwester.«
    INSPEKTOR: »Verstehe.«
    FRL. DOKTOR: »Sie haben sich mit Newton unterhalten ?«
    INSPEKTOR: »Ich entdeckte etwas.«
    Er setzt sich aufs Sofa.
    FRL. DOKTOR: »Gratuliere.«
    INSPEKTOR: »Newton hält sich in Wirklichkeit auch für Einstein.«
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    FRL. DOKTOR: »Das erzählt er jedem. In Wahrheit hält er sich aber doch für Newton.«
    INSPEKTOR (verblüfft) : »Sind Sie sicher?«
    FRL. DOKTOR: »Für wen sich meine Patienten halten, bestimme ich. Ich kenne sie weitaus besser, als sie sich selber kennen.«
    INSPEKTOR: »Möglich. Dann sollten Sie uns aber auch helfen, Fräulein Doktor. Die Regierung reklamiert.«
    FRL. DOKTOR: »Der Staatsanwalt ?«
    INSPEKTOR: »Tobt.«
    FRL. DOKTOR: »Wie wenn das meine Sorge wäre, Voß.«
    INSPEKTOR: »Zwei Morde«
    FRL. DOKTOR: »Bitte, Inspektor.«
    INSPEKTOR: »Zwei Unglücksfälle. In drei Monaten. Sie müssen zugeben, daß die Sicherheitsmaßnahmen in Ihrer Anstalt ungenügend sind.«
    FRL. DOKTOR: »Wie stellen Sie sich denn diese
    Sicherheitsmaßnahmen vor, Inspektor? Ich leite eine Heilanstalt, nicht ein Zuchthaus. Sie können schließlich die Mörder auch nicht einsperren, bevor sie morden.«
    INSPEKTOR: »Es handelt sich nicht um Mörder, sondern um Verrückte, und die können eben jederzeit morden.«
    FRL. DOKTOR: »Gesunde auch und bedeutend öfter. Wenn ich nur an meinen Großvater Leonidas von Zahnd denke, an den Generalfeldmarschall mit seinem verlorenen Krieg. In welchem Zeitalter leben wir denn ? Hat die Medizin Fortschritte gemacht oder nicht? Stehen uns neue Mittel zur Verfügung oder nicht, Drogen, die noch aus den Tobsüchtigsten sanfte Lämmer machen ? Sollen wir die Kranken wieder in Einzelzellen sperren, womöglich noch in Netzen mit Boxhandschuhen wie früher? Als ob wir nicht imstande wären, gefährliche und ungefährliche Patienten zu unterscheiden.«
    INSPEKTOR: »Dieses Unterscheidungsvermögen versagte jedenfalls bei Beutler und Ernesti kraß.«
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    FRL. DOKTOR: »Leider. Das beunruhigt mich und nicht Ihr tobender Staatsanwalt.«
    Aus Zimmer Nummer 2 kommt Einstein mit seiner Geige.
    Hager, schlohweiße lange Haare, Schnurrbart.
    EINSTEIN: »Ich bin aufgewacht.«
    FRL. DOKTOR: »Aber, Professor.«
    EINSTEIN: »Geigte ich schön?«
    FRL. DOKTOR: »Wundervoll, Professor.«
    EINSTEIN: »Ist
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