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Die Physiker

Die Physiker

Titel: Die Physiker
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Villa war einst der von Zahndsche Sommersitz) im Salon schmerzliche Spuren hinterlassen. Die Wände sind bis auf Mannshöhe mit hygienischer Lackfarbe überstrichen, dann erst kommt der darunterliegende Gips zum Vorschein, mit zum Teil noch erhaltenen Stukkaturen. Die drei Türen im Hintergrund, die von einer kleinen Halle in die Krankenzimmer der Physiker führen, sind mit schwarzem Leder gepolstert. Außerdem sind sie numeriert eins bis drei. Links neben der Halle ein häßlicher Zentralheizungskörper, rechts ein Lavabo mit Handtüchern an einer Stange. Aus dem Zimmer Nummer zwei (das mittlere Zimmer) dringt Geigenspiel mit Klavierbegleitung. Beethoven.
    Kreutzersonate. Links befindet sich die Parkfront, die Fenster hoch und bis zum Parkett herunterreichend, das mit Linoleum bedeckt ist. Links und rechts der Fensterfront ein schwerer Vorhang. Die Flügeltüre führt auf eine Terrasse, deren Steingeländer sich vom Park und dem relativ sonnigen Novemberwetter abhebt. Es ist kurz nach halb fünf nachmittags. Rechts über einem nutzlosen Kamin, vor den ein Gitter gestellt ist, hängt das Porträt eines spitzbärtigen alten Mannes in schwerem Goldrahmen. Rechts vorne eine schwere Eichentüre. Von der braunen Kassettendecke schwebt ein schwerer Kronleuchter. Die Möbel: Beim runden Tisch stehen -
    ist der Salon aufgeräumt - drei Stühle: wie der Tisch weiß gestrichen. Die übrigen Möbel leicht zerschlissen, verschiedene Epochen. Rechts vorne ein Sofa mit Tischchen, von zwei Sesseln flankiert. Die Stehlampe gehört eigentlich hinter das Sofa, das Zimmer ist demnach durchaus nicht überfüllt: Zur Ausstattung einer Bühne, auf der, im Gegensatz zu den Stücken der Alten, das Satyrspiel der Tragödie vorangeht, gehört wenig. Wir können beginnen. Um die Leiche bemühen sich Kriminalbeamte, zivil kostümiert, seelenruhige, gemütliche Burschen, die schon ihre Portion Weißwein konsumiert haben und danach riechen. Sie messen, nehmen Fingerabdrücke, ziehen die Konturen der Leiche mit Kreide nach usw. In der Mitte des Salons steht Kriminalinspektor Richard Voß, in Hut und Mantel, links Oberschwester Marta Boll, die so resolut aussieht, wie sie heißt und ist. Auf dem Sessel rechts außen
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    sitzt ein Polizist und stenographiert. Der Kriminalinspektor nimmt eine Zigarre aus einem braunen Etui.
    INSPEKTOR: »Man darf doch rauchen?«
    OBERSCHWESTER: »Es is t nicht üblich.«
    INSPEKTOR: »Pardon.«
    Er steckt die Zigarre zurück.
    OBERSCHWESTER: »Eine Tasse Tee ?«
    INSPEKTOR: »Lieber Schnaps.«
    OBERSCHWESTER: »Sie befinden sich in einer Heilanstalt.«
    INSPEKTOR: »Dann nichts. Blocher, du kannst
    photographieren.«
    BLOCHER: »Jawohl, Herr Inspektor.«
    Man photographiert. Blitzlichter.
    INSPEKTOR: »Wie hieß die Schwester?«
    OBERSCHWESTER: »Irene Strauß.«
    INSPEKTOR: »Alter?«
    OBERSCHWESTER: »Zweiundzwanzig. Aus Kohlwang.«
    INSPEKTOR: »Angehörige?«
    OBERSCHWESTER: »Ein Bruder in der Ostschweiz.«
    INSPEKTOR: »Benachrichtigt?«
    OBERSCHWESTER: »Telephonisch.«
    INSPEKTOR: »Der Mörder?«
    OBERSCHWESTER: »Bitte, Herr Inspektor - der arme Mensch ist doch krank.«
    INSPEKTOR: »Also gut: Der Täter?«
    OBERSCHWESTER: »Ernst Heinrich Ernesti. Wir nennen ihn Einstein.«
    INSPEKTOR: »Warum?«
    OBERSCHWESTER: »Weil er sich für Einstein hält.«
    INSPEKTOR: »Ach so.«
    Er wendet sich zum
    stenographierenden Polizisten. »Haben Sie die Aussagen der Oberschwester, Guhl?«
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    GUHL: »Jawohl, Herr Inspektor.«
    INSPEKTOR: »Auch erdrosselt, Doktor?«
    GERICHTSMEDIZINER: »Eindeutig. Mit der Schnur der Stehlampe. Diese Irren entwickeln oft gigantische Kräfte. Es hat etwas Großartiges.«
    INSPEKTOR: »So. Finden Sie. Dann finde ich es
    unverantwortlich, diese Irren von Schwestern pflegen zu lassen.
    Das ist nun schon der zweite Mord.«
    OBERSCHWESTER: »Bitte, Herr Inspektor.«
    INSPEKTOR: » - der zweite Unglücksfall innert drei Monaten in der Anstalt >Les Cerisiers<.« Er zieht ein Notizbuch hervor.
    »Am zwölften August erdrosselte ein Herbert Georg Beutler, der sich für den großen Physiker Newton hält, die Krankenschwester Dorothea Moser.« Er steckt das Notizbuch wieder ein. »Auch in diesem Salon. Mit Pflegern wäre das nie vorgekommen.«
    OBERSCHWESTER: »Glauben Sie? Schwester Dorothea Moser war Mitglied des Damenringvereins und Schwester Irene Strauß Landesmeisterin des nationalen Judoverbandes.«
    INSPEKTOR: »Und Sie?«
    OBERSCHWESTER: »Ich stemme.«
    INSPEKTOR: »Kann ich nun
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