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Die Physiker

Die Physiker

Titel: Die Physiker
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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weiter?«
    NEWTON: »Der Appetit ist mir vergangen.«
    EINSTEIN: »Schade um das Cordon bleu.«
    -5 6 -

    MÖBIUS (steht auf) : »Wir sind drei Physiker. Die Entscheidung, die wir zu fällen haben, ist eine Entscheidung unter Physikern.
    Wir müssen wissenschaftlich vorgehen. Wir dürfen uns nicht von Meinungen bestimmen lassen, sondern von logischen Schlüssen. Wir müssen versuchen, das Vernünftige zu finden.
    Wir dürfen uns keinen Denkfehler leisten, weil ein Fehlschluß zur Katastrophe führen müßte. Der Ausgangspunkt ist klar. Wir haben alle drei das gleiche Ziel im Auge, doch unsere Taktik ist verschieden. Das Ziel ist der Fortgang der Physik. Sie wollen ihr die Freiheit bewahren, Kilton, und streiten ihr die Verantwortung ab. Sie dagegen, Eisler, verpflichten die Physik im Namen der Verantwortung der Machtpolitik eines bestimmten Landes. Wie sieht nun aber die Wirklichkeit aus ?
    Darüber verlange ich Auskunft, soll ich mich entscheiden.«
    NEWTON: »Einige der berühmtesten Physiker erwarten Sie.
    Besoldung und Unterkunft ideal, die Gegend mörderisch, aber die Klimaanlagen ausgezeichnet.«
    MÖBIUS: »Sind diese Physiker frei ?«
    NEWTON: »Mein lieber Möbius. Diese Physiker erklären sich bereit, wissenschaftliche Probleme zu lösen, die für die Landesverteidigung entscheidend sind. Sie müssen daher verstehen«
    MÖBIUS: »Also nicht frei.« Er wendet sich Einstein zu. »Joseph Eisler. Sie treiben Machtpolitik. Dazu gehört jedoch Macht.
    Besitzen Sie die?«
    EINSTEIN: »Sie mißverstehen mich, Möbius. Meine Machtpolitik besteht gerade darin, daß ich zugunsten einer Partei auf meine Macht verzichtet habe.«
    MÖBIUS: »Können Sie die Partei im Sinne Ihrer Verantwortung lenken, oder laufen Sie Gefahr, von der Partei gelenkt zu werden ?«
    EINSTEIN: »Möbius! Das ist doch lächerlich. Ich kann natürlich nur hoffen, die Partei befolge meine Ratschläge, mehr nicht.
    Ohne Hoffnung gibt es nun einmal keine politische Haltung.«
    MÖBIUS: »Sind wenigstens Ihre Physiker frei ?«
    -5 7 -

    EINSTEIN: »Da auch sie für die Landesverteidigung MÖBIUS: »Merkwürdig. Jeder preist mir eine andere Theorie an, doch die Realität, die man mir bietet, ist dieselbe: ein Gefängnis. Da ziehe ich mein Irrenhaus vor. Es gibt mir wenigstens die Sicherheit, von Politikern nicht ausgenützt zu werden.«
    EINSTEIN: »Gewisse Risiken muß man schließlich eingehen.«
    MÖBIUS: »Es gibt Risiken, die man nie eingehen darf: der Untergang der Menschheit ist ein solches. Was die Welt mit den Waffen anrichtet, die sie schon besitzt, wissen wir, was sie mit jenen anrichten würde, die ich ermögliche, können wir uns denken. Dieser Einsicht habe ich mein Handeln untergeordnet.
    Ich war arm. Ich besaß eine Frau und drei Kinder. An der Universität winkte Ruhm, in der Industrie Geld. Beide Wege waren zu gefährlich. Ich hätte meine Arbeiten veröffentlichen müssen, der Umsturz unserer Wissenschaft und das Zusammenbrechen des wirtschaftlichen Gefüges wären die Folgen gewesen. Die Verantwortung zwang mir einen anderen Weg auf. Ich ließ meine akademische Karriere fahren, die Industrie fallen und überließ meine Familie ihrem Schicksal. Ich wählte die Narrenkappe. Ich gab vor, der König Salomo erscheine mir, und schon sperrte man mich in ein Irrenhaus.«
    NEWTON: »Das war doch keine Lösung!«
    MÖBIUS: »Die Vernunft forderte diesen Schritt. Wir sind in unserer Wissenschaft an die Grenzen des Erkennbaren gestoßen. Wir wissen einige genau erfaßbare Gesetze, einige Grundbeziehungen zwischen unbegreiflichen Erscheinungen, das ist alles, der gewaltige Rest bleibt Geheimnis, dem Verstande unzugänglich. Wir haben das Ende unseres Weges erreicht. Aber die Menschheit ist noch nicht soweit. Wir haben uns vorgekämpft, nun folgt uns niemand nach, wir sind ins Leere gestoßen. Unsere Wissenschaft ist schrecklich geworden, unsere Forschung gefährlich, unsere Erkenntnis tödlich. Es gibt für uns Physiker nur noch die Kapitulation vor der Wirklichkeit. Sie ist uns nicht gewachsen. Sie geht an uns zugrunde. Wir müssen unser Wissen zurücknehmen, und ich
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    habe es zurückgenommen. Es gibt keine andere Lösung, auch für euch nicht.«
    EINSTEIN: »Was wollen Sie damit sagen?«
    MÖBIUS: »Ihr besitzt Geheimsender?«
    EINSTEIN: »Na und ?«
    MÖBIUS: »Ihr benachrichtigt eure Auftraggeber. Ihr hättet euch geirrt. Ich sei wirklich verrückt.«
    EINSTEIN: »Dann sitzen wir hier lebenslänglich.«
    MÖBIUS:
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