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Die Physiker

Die Physiker

Titel: Die Physiker
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Krankenschwester verging mir auch der Appetit.«
    Er setzt sich und beginnt Leberknödelsuppe zu essen. Möbius erhebt sich und will auf sein Zimmer gehen.
    NEWTON: »Bleiben Sie.«
    MÖBIUS: »Sir Isaac?«
    NEWTON: »Ich habe mit Ihnen zu reden, Möbius.«
    MÖBIUS (bleibt stehen) : »Und ?«
    NEWTON (deutet auf das Essen) : »Möchten Sie nicht vielleicht doch die Leberknödelsuppe versuchen? Sie schmeckt vorzüglich.«
    MÖBIUS: »Nein.«
    NEWTON: »Mein lieber Möbius, wir werden nicht mehr von Schwestern betreut, wir werden von Pflegern bewacht. Von riesigen Burschen.«
    MÖBIUS: »Das spielt keine Rolle.«
    NEWTON: »Vielleicht nicht für Sie, Möbius. Sie wünschen ja offenbar Ihr ganzes Leben im Irrenhaus zu verbringen. Aber für mich spielt es eine Rolle. Ich will nämlich hinaus.« Er beendet die Leberknödelsuppe. »Na. Gehen wir mal zum Poulet à la broche über.« Er serviert sich. »Die Pfleger zwingen mich zu handeln. Noch heute.«
    MÖBIUS: »Ihre Sache.«
    NEWTON: »Nicht ganz. Ein Geständnis, Möbius: Ich bin nicht verrückt.«
    MÖBIUS: »Aber natürlich nicht, Sir Isaac.«
    NEWTON: »Ich bin nicht Sir Isaac Newton.«
    -4 8 -

    MÖBIUS: »Ich weiß. Albert Einstein.«
    NEWTON: »Blödsinn. Auch nicht Herbert Georg Beutler, wie man hier glaubt. Mein wahrer Name lautet Kilton, mein Junge.«
    MÖBIUS (starrt ihn erschrocken an) : »Alec Jasper Kilton ?«
    NEWTON: »Richtig.«
    MÖBIUS: »Der Begründer der Entsprechungslehre ?«
    NEWTON: »Der.«
    MÖBIUS (kommt zum Tisch) : »Sie haben sich hier eingeschlichen?«
    NEWTON: »Indem ich den Verrückten spielte.«
    MÖBIUS: »Um mich - auszuspionieren?«
    NEWTON: »Um hinter den Grund Ihrer Verrücktheit zu kommen. Mein tadelloses Deutsch ist mir im Lager unseres Geheimdienstes beigebracht worden, eine schreckliche Arbeit.«
    MÖBIUS: »Und weil die arme Schwester Dorothea auf die Wahrheit kam, haben Sie - «
    NEWTON: »Habe ich. Der Vorfall tut mir außerordentlich leid.«
    MÖBIUS: »Verstehe.«
    NEWTON: »Befehl ist Befehl.«
    MÖBIUS: »Selbstverständlich.«
    NEWTON: »Ich durfte nicht anders handeln.«
    MÖBIUS: »Natürlich nicht.«
    NEWTON: »Meine Mission stand in Frage, das geheimste Unternehmen unseres Geheimdienstes. Ich mußte töten, wollte ich jeden Verdacht vermeiden. Schwester Dorothea hielt mich nicht mehr für verrückt, die Chefärztin nur für mäßig krank, es galt meinen Wahnsinn durch einen Mord endgültig zu beweisen. Sie, das Poulet à la broche schmeckt aber wirklich großartig.«
    Aus Zimmer Nummer 2 hört man Einstein geigen.
    MÖBIUS: »Da geigt Einstein wieder.«
    NEWTON: »Die Gavotte von Bach.«
    MÖBIUS: »Sein Essen wird kalt.«
    -4 9 -

    NEWTON: »Lassen Sie den Verrückten ruhig weitergeigen.«
    MÖBIUS: »Eine Drohung?«
    NEWTON: »Ich verehre Sie unermeßlich. Es würde mir leid tun, energisch vorgehen zu müssen.«
    MÖBIUS: »Sie haben den Auftrag, mich zu entführen ?«
    NEWTON: »Falls sich der Verdacht unseres Geheimdienstes bestätigt.«
    MÖBIUS: »Der wäre ?«
    NEWTON: »Er hält Sie zufällig für den genialsten Physiker der Gegenwart.«
    MÖBIUS: »Ich bin ein schwer nervenkranker Mensch, Kilton, nichts weiter.«
    NEWTON: »Unser Geheimdienst ist darüber anderer Ansicht.«
    MÖBIUS: »Und was glauben Sie von mir?«
    NEWTON: »Ich halte Sie schlicht für den größten Physiker aller Zeiten.«
    MÖBIUS: »Und wie kam Ihr Geheimdienst auf meine Spur?«
    NEWTON: »Durch mich. Ich las zufällig Ihre Dissertation über die Grundlagen einer neuen Physik. Zuerst hielt ich die Abhandlung für eine Spielerei. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ic h hatte es mit dem genialsten Dokument der neueren Physik zu tun. Ich begann über den Verfasser nachzuforschen und kam nicht weiter. Darauf informierte ich den Geheimdienst, und der kam dann weiter.«
    EINSTEIN: »Sie waren nicht der einzige Leser der Dissertation, Kilton.« Er ist unbemerkt mit seiner Geige unter dem Arm und mit seinem Geigenbogen aus Zimmer Nummer 2 gekommen.
    »Ich bin nämlich auch nicht verrückt. Darf ich mich vorstellen?
    Ich bin ebenfalls Physiker. Mitglied eines Geheimdienstes. Aber eines ziemlich anderen. Mein Name ist Joseph Eisler.«
    MÖBIUS: »Der Entdecker des Eisler-Effekts?«
    EINSTEIN: »Der.«
    NEWTON: »Neunzehnhundertfünfzig verschollen.«
    EINSTEIN: »Freiwillig.«
    -5 0 -

    NEWTON (hält plötzlich einen Revolver in der Hand) : »Darf ich bitten, Eisler, sich mit dem Gesicht gegen die Wand zu stellen?«
    EINSTEIN:
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