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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht
Autoren: Ken Follett
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die Mauer und spähten hinüber.
    Das Spielfeld lag verlassen vor ihnen, wie Hugh erwartet hatte. Dennoch zögerte er. Allein der Gedanke daran, wie der Rohrstock auf sein Hinterteil klatschte, ließ ihn zusammenzucken. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Er mußte in die Schule und sich trockene Sachen anziehen.
    »Die Luft ist rein«, zischte er. »Los jetzt!«
    Gemeinsam sprangen sie über die Mauer und hetzten über das Spielfeld in den kühlen Schatten der steinernen Kapelle. Immerhin - bis jetzt war alles gutgegangen. Sie schlichen sich um die Ostseite, indem sie sich dicht an der Wand hielten. Als nächstes kam ein kurzer Sprint über die Auffahrt und in ihr Gebäude. Hugh verharrte reglos. Kein Mensch war zu sehen. »Jetzt!« flüsterte er.
    Die beiden Jungen rannten über den Weg. Doch dann, als sie die Tür bereits erreicht hatten, schlug das Verhängnis zu. Eine vertraute, autoritätsgewohnte Stimme erklang: »Pilaster, mein Junge, sind Sie das?« Da wußte Hugh, daß das Spiel verloren war.
    Das Herz rutschte ihm in den Hosenboden. Er blieb stehen und drehte sich um. Ausgerechnet in diesem Moment mußte Mr. Offerten aus der Kapelle kommen! Jetzt stand er im Schatten des Portals, eine hochgewachsene, mißgelaunte Gestalt in College-Talar und Barett. Hugh unterdrückte ein Stöhnen: Mr. Offerten, genau der Lehrer, dem das Geld gestohlen worden war! Der war der letzte, der Gnade vor Recht ergehen ließ! Und das bedeutete unwiderruflich den Rohrstock. Unwillkürlich verkrampften sich Hughs Gesäßmuskeln.
    »Kommen Sie her, Pilaster!« befahl Dr. Offerton. Hugh schlurfte hinüber, Tonio im Schlepptau. Er war der Verzweiflung nahe. Warum lasse ich mich bloß immer wieder auf solch riskante Unternehmen ein? dachte er. »Ins Büro des Schulleiters, sofort«, sagte Dr. Offerton. »Jawohl, Sir«, sagte Hugh kleinlaut. Es wurde immer schlimmer! Wenn der Direktor sieht, in welchem Aufzug ich umherlaufe, fliege ich womöglich von der Schule. Was soll ich nur Mutter sagen? »Also ab!« befahl der Lehrer ungeduldig.
    Beide Jungen machten kehrt, doch Dr. Offerton sagte: »Sie nicht, Silva.«
    Hugh und Tonio sahen sich fragend an: Weshalb sollte Hugh bestraft werden, Tonio aber nicht? Doch Befehl war Befehl, und Fragen waren nicht gestattet. Also entkam Tonio in den Schlafsaal, während Hugh sich auf den Weg zum Haus des Direktors machte.
    Schon jetzt konnte er den Rohrstock spüren. Er wußte, daß er weinen würde, und das war noch viel schlimmer als der Schmerz. Denn mit seinen dreizehn Jahren fand Hugh sich eigentlich schon zu alt für Tränen.
    Das Haus des Direktors lag am anderen Ende des Schulgeländes, doch so langsam Hugh auch vorwärts schlich - er kam viel zu früh an. Und das Hausmädchen öffnete die Tür schon eine Sekunde nach dem Klingeln.
    Dr. Poleson erwartete ihn in der Diele. Der Schulleiter war ein kahlköpfiger Mann mit dem Gesicht einer Bulldogge, doch aus irgendeinem Grunde sah er nicht so aus wie erwartet. Das Donnerwetter, mit dem Hugh gerechnet hatte, blieb aus. Anstatt sofort Aufklärung darüber zu verlangen, weshalb Hugh nicht nur aus dem Arrest entwichen, sondern darüber hinaus auch noch tropfnaß war, öffnete der Direktor schlicht die Tür zu seinem Büro und sagte ruhig: »Hier herein, meine Junge.« Er spart sich seine Wut für die
    Prügel auf, dachte Hugh und betrat klopfenden Herzens das Büro.
    Zu seiner heillosen Verblüffung sah er dort seine Mutter sitzen. Noch schlimmer - sie weinte!
    »Ich war doch bloß schwimmen!« platzte Hugh heraus. Hinter ihm schloß sich die Tür, und er merkte, daß der Schulleiter gar nicht mit hereingekommen war.
    Erst jetzt begann es ihm zu dämmern: Das alles hatte nichts mit dem Arrest zu tun und nichts mit dem Schwimmen. Es ging auch nicht um die verlorenen Klamotten und nicht darum, daß er Mr. Offerten halb nackt in die Arme gelaufen war. Er hatte das entsetzliche Gefühl, daß alles noch viel, viel schlimmer war.
    »Was ist los, Mutter?« fragte er. »Warum bist du gekommen?«
    »Ach, Hugh«, schluchzte sie, »dein Vater ist tot.«
     
    Samstag war der schönste Tag der Woche, fand Maisie Robinson. Am Samstag bekam Papa seinen Lohn. Dann gab es Fleisch zum Abendessen und frisches Brot.
    Sie saß mit ihrem Bruder Danny auf der Eingangsstufe und wartete darauf, daß Papa von der Arbeit kam. Danny war dreizehn, zwei Jahre älter als Maisie, und sie himmelte ihn an, obwohl er manchmal gar nicht nett zu ihr war.
    Das Haus war Bestandteil einer Reihe
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