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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht
Autoren: Ken Follett
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lassen?
    »Wie steht's mit dir?« fragte Edward. »Wo verbringst du denn den Sommer?«
    Auf diese Frage hatte Micky nur gewartet. »In der Schule«, lautete seine Antwort.
    »Hier? Soll das heißen, daß du die ganzen Ferien über in der Schule bleibst?«
    »Was denn sonst? Heimfahren kann ich nicht. Allein für den Hinweg brauche ich sechs Wochen - ich müßte schon umkehren, bevor ich überhaupt zu Hause w ä re.«
    »Das ist ja gräßlich.«
    Das mochte schon sein - nur: Micky hegte gar nicht den Wunsch, nach Hause zu fahren. Seit dem Tod seiner Mutter war ihm sein Vaterhaus verhaßt. Dort gab es inzwischen nur noch Männer: seinen Vater, seinen älteren Bruder Paulo, mehrere Onkel und Vettern und dazu vierhundert Gauchos. Der große Held für all diese Männer war Papa, doch für Micky war er ein Fremder: kalt, unnahbar, ungeduldig.
    Ein noch größeres Problem für Micky war Paulo. Der war ebenso stark wie dämlich, haßte den geschickteren und klügeren Micky, und nichts bereitete ihm größeren Spaß, als seinen kleinen Bruder zu demütigen. Wo immer sich eine Chance bot, aller Welt vorzuführen, daß Micky unfähig war, einen Stier mit dem Lasso einzufangen, ein Pferd zuzureiten oder eine Schlange mit einem Kopfschuß zu toten, wurde sie von Paulo weidlich genutzt. Besonderes Vergnügen bereitete es ihm, Mickys Pferd zu erschrecken, so daß es scheute und Micky nichts anderes übrigblieb, als sich in Todesängsten mit fest geschlossenen Augen an den Hals des Tieres zu klammern, bis es, nach wilder Jagd über die Pampa, erschöpft stehenblieb.
    O nein, Micky wollte in den Ferien nicht nach Hause. Aber er wollte auch nicht in der Schule bleiben. Er spekulierte auf eine Einladung der Pilasters, den Sommer mit ihnen zu verbringen. Da Edward nicht sofort von selbst auf den Gedanken kam, ließ Micky das Thema fallen. Er war überzeugt, daß es wieder zur Sprache kommen würde...
    Sie kletterten über einen verfallenden Weidezaun und stiegen eine kleine Anhöhe hinauf. Von oben war bereits der Teich zu sehen Zwar waren die behauenen Wände des Steinbruchs ziemlich steil, doch jeder halbwegs gelenkige Junge fand ohne Schwierigkeiten hinunter. Das tiefe Wasserloch am Grunde schimmerte in trübem Grün und beherbergte Kröten, Frösche und ein paar Wasserschlangen.
    Micky stellte verblüfft fest, daß sich schon drei andere Jungen im Wasser befanden.
    Das Sonnenlicht brach sich an der Wasseroberflache. Micky kniff die Augen zusammen und versuchte, die nackten Gestalten zu erkennen. Es waren drei Windfield-Schüler aus der Untertertia. Der karottenrote Schopf gehörte zu Antonio Silva, der trotz seiner Haarfarbe ein Landsmann Mickys war. Tonios Vater mochte nicht so viel Land besitzen wie der von Micky, doch die Silvas lebten in der Hauptstadt und hatten einflußreiche Verbindungen. Auch Tonio konnte in den Ferien nicht nach Hause fahren. Da er jedoch Freunde an der Botschaft von Cordoba in London hatte, mußte er nicht den ganzen Sommer über in der Schule bleiben Bei dem zweiten Jungen handelte es sich um Hugh Pilaster, einen Vetter Edwards, wiewohl die beiden nicht die geringste Ähnlichkeit aufwiesen: Der schwarzhaarige Hugh hatte ein schmales, ebenmäßiges Gesicht, und sein lausbübisches Grinsen war unverwechselbar. Edward konnte ihn nicht leiden, denn Hugh war ein guter Schüler, neben dem er selbst wie der Trottel der Familie wirkte.
    Der dritte Schwimmer war Peter Middleton, ein eher schüchterner Knabe, der gewöhnlich die Nahe des selbstbewußteren Hugh suchte. Drei Dreizehnjährige also, allesamt mit weißen, unbehaarten Körpern, dünnen Armen und schlaksigen Beinen. Dann bemerkte Micky noch einen vierten Jungen. Er schwamm für sich allein am anderen Ende des Teiches. Er wirkte älter als die anderen drei und schien nicht zu ihnen zu gehören. Aber er war zu weit entfernt, als daß Micky sein Gesicht hatte erkennen können.
    Edward setzte ein boshaftes Grinsen auf: Er sah eine Gelegenheit, den anderen einen Streich zu spielen. Verschwörerisch legte er den Finger auf die Lippen, bevor er an der Steilwand hinunterturnte. Micky folgte ihm schweigend.
    Als sie den Vorsprung erreichten, wo die Jüngeren ihre Kleider abgelegt hatten, waren Tonio und Hugh untergetaucht, um irgend etwas zu erforschen, wahrend Peter in aller Ruhe seine Bahnen zog. Er war der erste, der die beiden Neuankömmlinge entdeckte. »O nein!« stöhnte er.
    »Sieh da, sieh da«, sagte Edward. »Ihr wißt doch, daß das, was ihr hier
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