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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht
Autoren: Ken Follett
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vorlie g e.
    Abschließend verwies der Stellvertretende Untersuchungsrichter auf die Tapferkeit des Schülers Edward Pilaster, der versucht habe, seinem Freund das Leben zu retten, und sagte, der Charakter des englischen Schuljungen, geformt v o n Institutionen wie Windfield, sei ein Faktum, auf das wir mit Fug und Recht stolz sein dürften.
     
     
    Micky Miranda war hingerissen von Edwards Mutter. Augusta Pilaster war eine große, stattliche Frau in den Dreißigern. Sie hatte schwarzes Haar und schwarze Augenbrauen und ein hochmütiges Gesicht mit hohen Wangenknochen, einer geraden, scharf geschnittenen Nase und einer starken Kinnpartie.
    Strenggenommen war sie nicht schön und schon gar nicht hübsch, aber ihr stolzes Gesicht besaß eine unglaubliche Ausstrahlung. Zu der gerichtlichen Untersuchung trug sie einen schwarzen Mantel und einen schwarzen Hut, was die Dramatik ihres Auftritts noch verstärkte. Doch das eigentlich Faszinierende an ihr war der untrügliche Eindruck, daß sich unter ihren sittsamen Kleidern ein wollüstiger Körper verbarg und daß ihre arrogante, gebieterische Haltung eine leidenschaftliche Natur kaschierte. Micky vermochte  ich ihrer Persönlichkeit nicht zu entziehen, ja, er konnte kaum den Blick von ihr wenden.
    Neben ihr saß ihr Gatte Joseph, Edwards Vater, ein häßlicher Mann um die Vierzig, der unentwegt eine Leichenbittermiene zur Schau trug. Er besaß die gleiche Hakennase wie Edward und hatte den gleichen hellen Teint, doch seine blonden Haare wichen allmählich einer Glatze, für die der buschige Backenbart wohl einen Ausgleich schaffen sollte. Micky fragte sich, was eine so eindrucksvolle Frau dazu bewegt haben mochte, diesen unansehnlichen Mann zu heiraten. Nun ja, er hatte Geld, sehr viel Geld - das war wohl der Grund.
    Sie saßen in einer Mietkutsche, die sie vom Bahnhofshotel in die Schule brachte: Mr. und Mrs. Pilaster, Edward und Micky sowie Dr. Poleson, der Schulleiter. Micky fand es erheiternd, daß auch der Direktor offensichtlich Augusta Pilasters Charme verfallen war. Er erkundigte sich, ob die Untersuchung sie ermüdet habe und ob sie sich in der Kutsche wohl fühle; er befahl dem Kutscher, langsamer zu fahren, und am Ende der Fahrt sprang er als erster aus dem Wagen, um Mrs. Pilaster beim Aussteigen die Hand reichen zu können. Sein Bulldoggengesicht verriet eine Erregung, wie Micky sie noch nie an ihm beobachtet hatte. Alles war gutgegangen bei der gerichtlichen Untersuchung. Obwohl Micky innerlich furchtbare Ängste ausgestanden hatte, hatte er eine Engelsmiene aufgesetzt, um die Geschichte zu erzählen, die Edward und er sich ausgedacht hatten. Die scheinheiligen Briten nahmen es unglaublich genau mit der Wahrheit, und wäre man ihm auf die Schliche gekommen, wäre er geliefert gewesen, soviel stand fest. Aber die Geschichte vom heldenhaften Internatsschüler hatte das Gericht dermaßen entzückt, daß niemand sie in Frage gestellt hatte. Edward war nervös gewesen und hatte bei seiner Aussage gestottert, doch der Untersuchungsrichter hatte auch dafür verständnisvolle Worte gefunden. Edward, so meinte er, sei wohl noch nicht darüber hinweggekommen, daß seinen Rettungsversuchen kein Erfolg beschieden war. Edward solle sich doch keine Vorwürfe machen ...
    Von den anderen Schülern war keiner vorgeladen worden. Hugh war noch am Tag des Unglücks aus der Schule genommen worden, weil sein Vater gestorben war. Von Tonio verlangte man keine Aussage, weil niemand wußte, daß er gesehen hatte, wie Peter starb. Micky hatte ihn unter fürchterlichen Drohungen zum Schweigen verdonnert. Zwar gab es noch einen unbekannten Zeugen, den Jungen, der am anderen Ende des Teichs gebadet hatte, doch der hatte sich nicht gemeldet.
    Peters Eltern hatte der Schicksalsschlag so hart getroffen, daß sie nicht erschienen waren. Sie hatten ihren Anwalt geschickt, einen alten Mann mit verschlafenen Augen, dessen einziges Ziel es war, die Sache mit möglichst geringem Aufwand hinter sich zu bringen. Anwesend war lediglich Peters älterer Bruder David; er hatte sich ziemlich aufgeregt, als der Anwalt darauf verzichtete, Micky und Edward kritisch zu befragen. Mit einer abwehrenden Handbewegung wies der alte Mann Davids geflüsterten Protest zurück. Ein Glück, dachte Micky, und war dem Anwalt überaus dankbar für seine Trägheit. Er war sich ziemlich sicher, daß Edward schon bei der ersten skeptischen Frage in die Knie gegangen wäre. Im staubigen Wohnzimmer des Direktors nahm Mrs.
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