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Die Opferstaette

Die Opferstaette

Titel: Die Opferstaette
Autoren: Patrick Dunne
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verfügte, und meinen Laptop dann im obersten Fach meines Wandschranks verstaut. Ich hatte lange Spaziergänge auf den Klippen unternommen und war beim Riff nahe der Stadt geschwommen und geschnorchelt, hatte das Meer in verschiedenen Stimmungen fotografiert und Skizzen von Anemonen in Felstümpeln angefertigt, in der Absicht, eine Reihe von Aquarellen zu malen, wenn ich nach Hause kam – tatsächlich hatte ich bereits eines mit dem Blick von meinem Hotelbalkon begonnen.
    Am Vortag hatte ich eine alte Studienfreundin besucht, die weiter unten auf der Halbinsel ein kunsthandwerkliches Atelier besaß. Mir war nicht klar gewesen, dass Kim Tyrell hier zu Hause war, bis ich vor Monaten ein beschriftetes Werk von ihr – einen beleuchteten Briefbeschwerer – in einer Galerie in Dublin gesehen hatte. Der Besitzer der Galerie hatte mir erzählt, sie sei vor ein paar Jahren dorthin gezogen, nach dem Tod ihres Mannes Jamie, eines hochgelobten Keramikers. Er war anscheinend wegen einer harmlosen Operation ins Krankenhaus gegangen, wo er sich eine Infektion holte, die in einer tödlichen Sepsis endete.
    Ich hatte mir Kims Kontaktdaten notiert und ihr eine Woche, bevor ich von Castleboyne aufbrach, eine E-Mail geschickt. Sie hatte mich eingeladen, sie in ihrem Haus nahe dem Dorf Carrigaholt an der Flussmündung zu besuchen. Nachdem ich ein paar Mal falsch abgebogen war, hielt ich vor einem weiß getünchten Cottage mit orangefarbenen Türen und Fenstern.
Geranientöpfe wechselten sich mit Treibholzfunden an den Wänden des Häuschens ab, und ein grüner Kleinwagen stand im gekiesten Hof. Als ich neben ihm parkte, kam Kim um das Haus herum, um mich zu begrüßen. Klein wie ich selbst, aber untersetzter, trug sie ein Batik-Top in Purpur und Weiß und Bluejeans. Ihr weiches, blasses Gesicht war breiter geworden, und ihre dunklen Augen funkelten zwar noch lebhaft, wie ich sie in Erinnerung hatte, waren jedoch von einem Netz von Fältchen umgeben. Ein Schopf dichter Locken krönte immer noch ihr Haupt, auch wenn er jetzt grauer war und einzelne Strähnen wie die Ranken einer Kriechpflanze auf der Suche nach Halt aus ihm sprossen.
    Bei einem Lunch mit Quiche aus Ziegenkäse und Pilzen mit Salat plauderten Kim und ich an ihrem Küchentisch. Unsere Gespräche wurden von Zeit zu Zeit unterbrochen, wenn eine ihrer drei Katzen – zwei gescheckte und eine schwarze Halb-Siam – an den Tisch kamen, um mich zu begutachten. Ich erzählte ihr von Boo, meinem großen Maine-Coon-Kater, der selbst für Katzenverhältnisse ein exzentrisches Verhalten an den Tag legt. »Er trinkt das Wasser aus den Gläsern, wenn ich meine Aquarelle male, er leert jede Schublade im Haus auf der Suche nach seiner Spielmaus, und neuerdings lässt er sich vom Hund meiner Mutter ums Haus jagen – und ich rede von einer dänischen Dogge.«
    Das amüsierte Kim, und ihr kehliges Lachen war mir sofort wieder vertraut. Sie drängte mir noch eine Portion Quiche auf, und ich willigte gern ein. Sie schmeckte köstlich. »Dann wohnst du also mit deiner Mutter zusammen«, fragte sie, während sie das Stück auf meinen Teller lud.
    Ich hatte ihr bereits erzählt, dass mein Vater im Juni gestorben war, nachdem er seit Jahren an Alzheimer gelitten hatte. »Als uns klar wurde, dass mein Vater das Pflegeheim nie mehr
verlassen würde, bauten wir ein Büro für mich und eine Wohnung für sie an unser Haus an.«
    »Du standest deinem Vater sehr nahe, soweit ich mich erinnere.«
    »Ja. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich mit seinem Tod wirklich schon fertig geworden bin. Er hinterlässt ein irgendwie … taubes Gefühl.«
    Kim nickte. »Ich weiß, was du meinst. Bei mir war es genauso, als James starb.«
    »Und ist es inzwischen besser geworden?«
    »Eigentlich nicht. Auch nach sieben Jahren nicht. Ich glaube, dass wir über den Tod einer geliebten Person nie hinwegkommen. Es wird mit der Zeit nur ein bisschen weniger schmerzhaft. Ab und an fällt mir ein Foto von James in die Hände, oder ich sehe vielleicht ein Werkstück von ihm, und plötzlich breche ich in Tränen aus. Es ist, als würden wir unsere Trauer in Raten durchmachen, weil wir mit dem ganzen Gefühl auf einmal nicht fertig werden.«
    Wir aßen eine Weile schweigend. Dann sprang mir eine der gescheckten Katzen auf den Schoß.
    »Wirf sie runter«, sagte Kim.
    »Sie stört mich nicht. Ich bin sowieso fertig.«
    Kim räumte den Tisch ab, während ich mit der Katze sprach und sie unter dem Kinn kraulte.
    »Möchtest du
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