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Die Opferstaette

Die Opferstaette

Titel: Die Opferstaette
Autoren: Patrick Dunne
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ich, lächelte aber dennoch. Ein wenig Schauspielerei war typisch für den Mann, wie ich allmählich herausfand.
    »Ach, kommen Sie, Illaun.« Er merkte mir meine mangelnde Begeisterung offenbar an.
    »Also gut.« Ich bedeutete ihm, genau vor der Kamera in die Hocke zu gehen, machte ein Bild und zoomte dann zu einer Nahaufnahme heran. Der Größenunterschied zwischen seinem Gesicht und dem Kiefer war frappant. Der Knochen gehörte offenbar zu einer Frau.
    Aber dann sah ich etwas, das mich vor Schreck erstarren ließ.
    »Was ist los?«
    Ich ließ die Kamera sinken. »Schauen Sie sich die Zähne an, Theo. Da ist etwas …« Ich schluckte. »Da ist etwas, das nicht da sein dürfte …«

    »O mein Gott«, sagte er. Plötzlich wusste er nicht mehr, wohin mit dem Stück Mensch, das er in der Hand hielt.
    Einer der Backenzähne enthielt eine Metallfüllung.

2
    M ahon ging in die Polizeistation in Kilkee, um den Fund abzuliefern, während ich draußen wartete. Das Gebäude dürfte ursprünglich weiß getünchte Wände mit grauen Ecksteinen gehabt haben, aber jetzt war es zitronengelb gestrichen. Vielleicht hatte jemand gedacht, man müsse es der signalfarbenen Tracht der Polizei angleichen, aber wahrscheinlich lag es eher an der Begeisterung für leuchtend bunte Häuser, die für diesen Teil des Landes typisch war.
    Regentropfen klatschten lustlos auf die Windschutzscheibe. An der Westküste muss sich der Regen anstrengen, wenn man ihn noch bemerken soll, aber dieser hier schien den Versuch bereits aufgegeben zu haben. Dennoch machte er den grauen Septembernachmittag noch düsterer. Kein Wunder, dass die Häuser so fröhlich bunt angemalt sind, dachte ich. Ein Teil von mir sehnte sich zurück nach Hause, ins County Meath, wo das Sonnenlicht in meiner Vorstellung wie warmer Sirup vom Himmel strömte, wie es immer der Fall gewesen war, wenn wir nach den Sommerferien wieder zur Schule gingen. Ich erinnerte mich an die bittersüßen Nachmittage, an denen ich ins Klassenzimmer gesperrt war, während der Sommer draußen in strahlendem Glanz zu Ende ging.
    Ich tröstete mich mit dem Wissen, dass der Regen auf den Felsen rasch trocknete und der frisch gestrichene Ozean die Lebensgeister weckte, wenn die Sonne hier an der Küste von Clare herauskam.

    Auf der Karte sieht die Halbinsel Loop Head wie eine verrostete Messerklinge aus – ein fünfzig Kilometer langes Dreieck, das die Shannon-Mündung vom Atlantik trennt. Flach und beinahe baumlos, ist die Landschaft ein Flickenteppich aus rechtwinkligen Feldstreifen voller Binsen, unterteilt von niedrigen Erdwällen und Hecken. Gehöfte sind einzeln oder in Gruppen darüber verteilt und immer gut sichtbar in dem kahlen Gelände, das zum Meer hin sanft ansteigt, um in einer dramatischen Küstenlinie zu enden, mit hohen Klippen und von Wogen umtosten Riffen, düsteren Höhlen und von Möwen beherrschten Felssäulen im Meer. Es sieht aus, als hätte jemand die Seite eines Billardtischs mit einer Axt bearbeitet, der grüne Bezug der Wiesen endet abrupt über einer dunklen Fassade aus Kalksteinschiefer, der teilweise senkrecht ins Meer abstürzt und sich an manchen Stellen in Stufen unter Wasser fortsetzt, um ein an Meerespflanzen und Fischen reiches Riff zu bilden. Aus dem Meeresgrund ragen mächtige Brocken und Felssplitter auf, die dem Angriff widerstanden haben und von Resten des grünen Tuchs bedeckt sind. Etwa in der Mitte dieses Küstenabschnitts führt eine rund einen Kilometer breite Öffnung in der Steilwand wie ein Tor zu der sichelförmigen Sandbucht von Kilkee.
    Nach einer schmerzhaften Zeit, in der ich meinen Vater verloren und mich von meinem Verlobten getrennt hatte, legte ich gerade eine kurze Pause ein und war dazu an einen Ort mit glücklichen Erinnerungen zurückgekehrt. Ich befand mich außerdem an einer Art Scheidepunkt meiner Berufslaufbahn, nachdem man mir angeboten hatte, ein archäologisches Museum für das County Meath aufzubauen. Die Entscheidung dafür würde Art und Umfang meines Beratungsunternehmens in den nächsten Jahren bestimmen. Es gab einen neuen Mann in meinem Leben – und sei es auch weit entfernt -, und im
November würde ich vierzig werden. Das bereitete mir keinerlei Kopfzerbrechen, aber es schien wie von allein zu einer Art Meilenstein in meinem Leben zu werden.
    Während der letzten fünf Tage hatte mein Handy ausgeschaltet in einer Schublade gelegen; ich hatte mich vergewissert, dass ich in meinem Hotelzimmer über einen Internetzugang
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