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Die Obamas

Die Obamas

Titel: Die Obamas
Autoren: Jodi Kantor
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schon entschieden?«, fragte sie.
    Die zukünftige First Lady wusste genau, worauf Susans Frage abzielte, und schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch immer nicht, was wir tun werden«, sagte sie mit sorgenvoller Miene.
    Nur eine Handvoll Freunde und Berater wusste, dass Michelle Obama überlegte, mit ihren Töchtern bis zum Ende des Schuljahres in Chicago zu bleiben, während der neu gewählte Präsident nach Washington zog. An der Inaugurationsfeier würden sie natürlich alle teilnehmen. Aber die künftige First Lady war unsicher, ob die ganze Familie wirklich so schnell umziehen müsse. Vielleicht könnten sie den Rest des Jahres nutzen, um sich nach einer Schule umzusehen, und sich für die Übersiedlung nach Washington etwas mehr Zeit lassen. Sie selbst könnte ja hin und her pendeln, während ihre Mutter, Marian Robinson, an den Tagen, an denen ihre Anwesenheit in Washington erforderlich war, bei den Mädchen in Chicago bleiben könnte. So hatten es die Obamas auch während des Wahlkampfs und bereits lange davor gemacht. Warum sollte man dies nicht für weitere sechs Monate beibehalten?
    Barack Obama war die Vorstellung allerdings zuwider, dass seine Familie zu Hause zurückbleiben könnte. Mit seinen siebenundvierzig Jahren hatte er noch nie dauerhaft mit seinen Töchtern unter demselben Dach gewohnt. Er hatte mit dem Pendeln angefangen, als er in den Senat von Illinois gewählt worden war. Das war 1997 , also vor ihrer Geburt, gewesen. Als er im Jahr 2005 US -Senator in Washington wurde, war sein erster Impuls, seine Familie mitzunehmen. Er kam jedoch bald zu dem Schluss, dass sie in ihrer gewohnten Chicagoer Umgebung besser aufgehoben war. Während des Wahlkampfs um die Präsidentschaft 2008 hatte er fast keine Nacht zu Hause verbracht. Vor allem die Aussicht, endlich mit seiner Frau und seinen Töchtern zusammenleben zu können, hatte ihm geholfen, sich für die Kandidatur zu begeistern. Das Präsidentenamt würde ihn für all die Jahre der Trennung entschädigen. Gewiss würden die Obamas sich auch nach einem Umzug nach Washington nicht ganz von ihrem früheren Leben verabschieden, sondern regelmäßig nach Chicago zurückkehren, versicherte er.
    Außenstehende hätten Michelle Obamas zögerliche Haltung wohl schockierend gefunden: War es nicht eine einmalige Erfahrung, im Weißen Haus zu wohnen, das Erlebnisse und Chancen bot, von denen die meisten Menschen nur träumen konnten? Alle Präsidentenfamilien zogen am Tag der Amtseinführung dort ein; das gehörte zu dem traditionellen Spektakel, das mit dem Amtsantritt jeder neuen Regierung zusammenhängt. Allein der Gedanke war absurd, dass eine Frau First Lady und zugleich Pendlerin sein könnte. Die Kür zum Präsidenten ist jedes Mal ein aufregendes Ereignis, doch Barack Obamas Sieg war mit ein paar besonderen Superlativen einhergegangen: Ihm war der schnellste Aufstieg in der amerikanischen Politik seit Menschengedenken und zugleich die Überwindung der letzten Rassenschranke gelungen. Michelle hatte alles getan, um ihren Mann auf dem Weg zum Sieg zu unterstützen, und Menschen in aller Welt freuten sich darauf, dass die Familie Obama nun in das Haus von Jefferson, Roosevelt und Kennedy einziehen würde. Wie konnte es sein, dass Michelle ausgerechnet jetzt zögerte?
    ***
    Michelle Obama ist nicht leicht zu durchschauen: Sie ist charmanter als ihr Mann, kann aber auch härter sein als er. Nach außen absolut loyal und im Privaten seine schärfste Kritikerin, ist sie idealistischer als er, dabei gleichzeitig misstrauischer und in politischer Hinsicht viel unerfahrener. Doch im Zweifelsfall hat sie das bessere Gespür für drohende Schwierigkeiten.
    Ihre Vorstellung, in Chicago bleiben zu können, war naiv und zeigte, wie wenig sie wirklich über Politik und das Amt des Präsidenten wusste. Michelle Obama ist von Natur aus eine Querdenkerin und schnell skeptisch, wenn jemand etwas von ihr will oder erwartet; und nur weil andere zu wissen meinen, was sie begeistert, bedeutet das noch lange nicht, dass sie am Ende damit richtig liegen. Die Vorstellung, mit den Kindern mitten im Schuljahr in eine andere Stadt ziehen zu müssen, machte sie fast ebenso nervös wie die Mädchen selbst. Und beide Obamas glaubten immer noch, sie könnten frei entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollten. Obwohl die Frage nicht ohne Brisanz war, besprachen die Obamas daher kaum mit ihren politischen Beratern, ob Michelle und die Kinder erst später umziehen sollten, und die
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