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Die Normannen

Die Normannen

Titel: Die Normannen
Autoren: C.H.Beck
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1075/80 nach Süditalien. Dort heiratete er eine Tochter Robert Guiscards und erhielt Land in Kalabrien; doch als er an einem Aufstand gegen seinen Schwiegervater teilnahm, zwang dieser ihn, ins Exil zu gehen. Wilhelm erhielt später zwar die Erlaubnis, aus Byzanz nach Kalabrien zurückzukehren, musste aber eine Verminderung seines Besitzes hinnehmen. Sein Sohn, Robert von Grandmesnil, lehnte sich vergeblich gegen Roger II. (1129) auf und emigrierte schließlich in die Normandie.
    Nicht alle normannischen Migranten kamen freiwillig: Hugo Bunel, Sohn des Robert von Igé, ermordete 1077 die Gräfin Mabel von Bellême und verließ daraufhin mit seinen Brüdern die Normandie, um sich einer Bestrafung zu entziehen. Er floh zunächst nach Süditalien, dann nach Sizilien und schließlich nach Byzanz. Da er sich auch dort nicht vor der Rache der Verwandten der ermordeten Gräfin sicher gefühlt habe – so der Chronist Ordericus Vitalis –, habe der Normanne dann bei den Ungläubigen (vermutlich Seldschuken) Zuflucht gesucht. In den zwanzig Jahren, die er bei ihnen verbrachte, sei er mit ihren Gewohnheiten und ihrer Sprache vertraut geworden. 1099 habe Hugo sich den Kreuzfahrern, die Jerusalem belagerten, angeschlossen und sei dem normannischen Herzog Robert durch seine Kenntnis der muslimischen Kampftaktik von großem Nutzen gewesen.
    Wie reagierten die Einheimischen auf die normannischen Einwanderer und Eroberer? Bei der Antwort auf diese Frage muss man differenzieren zwischen England und dem Mittelmeerraum. Im ersten Fall stand den Invasoren, die ein bereits bestehendes Königreich eroberten, eine kulturell relativ homogene Bevölkerung gegenüber, deren Oberschicht so gut wie vollständig entmachtet wurde. Die Folge war eine mehrere Jahrzehnte andauernde feindliche Haltung der Einheimischen, die ohnmächtig zusehen mussten, wie die Eroberer das Land und die führenden Positionen in Staat und Kirche unter sich aufteilten. Ein trennendes Element war zunächst die französische Sprache der normannischen Eroberer und Einwanderer; einigend wirkten hingegen die gemeinsame christlich-lateinische Religion undkulturelle Affinitäten zwischen der Normandie und England, die auf beiderseitigen skandinavischen Wurzeln und seit langem bestehenden nachbarschaftlichen Kontakten beruhten.
    Im Mittelmeerraum war die Lage komplizierter: Aus dem von der lateinischen Kultur geprägten nördlichen Teil Süditaliens (Kampanien und Nordapulien) hören wir in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts Klagen über Gruppen eingewanderter normannischer Ritter, die Kirchengut plünderten und Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung verübten. Diese Klagen verstummten jedoch, als die von Einwanderern zu Eroberern gewordenen Normannen durch die päpstliche Belehnung 1059 legitimiert wurden (s.S. 66) und sich verpflichteten, die Kirchen und die Bevölkerung zu beschützen. Auch im griechisch geprägten südlichen Teil Süditaliens (in Kalabrien, Südapulien und Teilen der Basilicata) verständigte sich die kleine Minderheit der normannischen Herren bald mit der einheimischen Bevölkerung, indem sie die griechisch-orthodoxen Klöster förderte und die griechischen Bischöfe nur dort durch lateinische ersetzte, wo dies keinen Widerstand hervorrief.
    Anders war die Lage auf Sizilien, wo nur die christliche Minderheit die Eroberer mit offenen Armen aufnahm, während die muslimische Mehrheit Widerstand leistete. Die Normannen gingen auch in dieser ihnen kulturell fremden Umgebung pragmatisch vor und gestatteten den muslimischen Sizilianern die Beibehaltung ihrer Religion und in den Städten auch eine gewisse Selbstverwaltung. Viele Muslime, vor allem der Oberschicht, wollten jedoch nicht unter der Herrschaft von Ungläubigen leben und emigrierten in den Maghreb oder das maurische Spanien.
    Im von Bohemund eroberten Antiochia sah die mehrheitlich christliche griechische, syrische und armenische Stadtbevölkerung die kleine normannisch-fränkische Oberschicht als Befreier von der Herrschaft der Seldschuken (s.S. 85). Konflikte entstanden nur durch den Aufbau einer neuen Kirchenorganisation mit einem lateinischen Patriarchen an der Spitze, der den Widerstand des an Byzanz gebundenen orthodoxen Klerus hervorrief. Aber angesichts der schon vorher bestehenden Vielfaltchristlicher Kultformen wurde der Wechsel in der kirchlichen und politischen Führungsspitze wahrscheinlich von der Mehrheit der Bevölkerung kaum wahrgenommen.
    Die Integration von Zuwandern ist
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